ESG: Neue Pflichten für die Immobilienwirtschaft
Zuerst waren es nur einige Vorreiter. Dann folgten viele große Konzerne. Inzwischen sind wir an einem Punkt, an dem man von einem Paradigmenwechsel sprechen muss, der Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend prägt. Gemeint sind die Nachhaltigkeitsprinzipien ESG. Ökologische (Environmental), soziale (Social) und unternehmerische (Governance) Verantwortung zu übernehmen, gehört heute zum Selbstverständnis vieler Unternehmer – und wird immer mehr auch zur Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg. Die Ausrichtung der Unternehmensführung an ESG-Kriterien ist dabei keine Zeiterscheinung. ESG ist gekommen, um zu bleiben – auch und gerade in der Immobilienwirtschaft.
Der Begriff ESG tauchte schon 2004 das erste Mal auf, hat aber erst jetzt zu seiner großen Bedeutung gefunden. Einer der Gründe dafür ist der Klimawandel, der die Reduzierung des CO2-Ausstoßes in den Fokus rückt. Doch das neue Paradigma endet nicht beim Umweltschutz („E“), sondern schließt auch soziale Faktoren mit ein, die auf die Lebensqualität der Mitarbeitenden abzielen. Der Bereich Governance wiederum bezieht sich auf das ethische Handeln des Managements in seiner ganzen Geschäftsführung (siehe Kasten). Kurzum: Wachstum und Profit sind durch ESG nicht mehr das alleinige Ziel der Unternehmensführung, sondern auch das Wohlergehen der jetzigen und kommender Generationen.
Obwohl dieser Wertewandel für die gesamte Wirtschaft relevant ist, kommt dem Immobiliensektor eine besonders wichtige Rolle zu, denn: Wohn- und Büroimmobilien gehören zu den größten CO2-Emittenten. Im Schnitt verursachen Immobilien etwa 60 Prozent der klimaschädlichen CO2-Emissionen in Städten1 und laut UN2 etwa 38 Prozent der gesamten globalen CO2-Emissionen. Die Stellschraube, die die Immobilienwirtschaft hier in der Hand hat, ist also riesig. Für noch mehr Dringlichkeit sorgt die Energiekrise, denn sie macht Energie nicht nur teurer, sondern auch schmutziger, da wieder auf Kohle oder gar Fracking-Gas ausgewichen wird.
ESG + Immobilienwirtschaft = Digitalisierung
Der Königsweg zu wirtschaftlichem Wachstum bei gleichzeitigem Klimaschutz führt über eine effektivere Nutzung der vorhandenen Energie. Hier kommt die Digitalisierung ins Spiel: Big Data, Sensorik und Smart Building sind die Instrumente der Wahl. Die Installation von digitalen Anwendungen mit künstlicher Intelligenz im Heizungskeller beispielsweise bringt eine Kosten- und CO2-Ersparnis von etwa 20 Prozent.
Die Digitalisierung und Sanierung von Gebäudetechnik in Bestandsimmobilien birgt für die deutsche CO2-Bilanz ein besonders hohes Potenzial: Allein 42 Prozent der Wohnungen in Mehrfamilienhäusern stammen noch aus der Zeit des Baubooms zwischen 1949 und 1978 und sind teils nicht sehr energieeffizient.
Die optimale Nutzung der digitalen Anwendungen gelingt aber nur, wenn Messdaten auch entsprechend ausgewertet und in den Gesamtkontext des Immobilienmanagements eingebettet werden. Gleichzeitig gilt es – im Hinblick auf soziale und unternehmerische Verantwortung – den Datenschutz und die Datensicherheit im Blick zu behalten.
Ein Blick in die Zukunft: die EU-Taxonomie
Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind für viele Unternehmer bereits Teil der Unternehmensphilosophie geworden. Doch auch von Seiten der Gesellschaft, der Investoren und des Gesetzgebers kommen deutliche Aufbruchssignale. So hat die EU für einen erheblichen Anreiz zur CO2-Reduktion gesorgt, als sie zur Umsetzung des „Europäischen Green Deals“ eine Taxonomie als verbindlichen Standard für nachhaltiges Wirtschaften veröffentlichte. Unternehmen, die einen günstigen Zugang zum Kapitalmarkt oder zu staatlichen Förderungen wollen, müssen durch umfangreiche Offenlegungspflichten beweisen, dass sie fest definierte Umweltziele erfüllen.
Bereits seit 2022 gilt die Taxonomie für finanzmarktteilnehmende oder „große Unternehmen von öffentlichem Interesse“ mit mehr als 500 Mitarbeitenden – wenn auch bis 2023 nur für die ersten beiden Umweltziele „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“. Ab 2023 müssen auch Unternehmen ab 250 Mitarbeitern die Richtlinie anwenden, kleine und mittlere kapitalmarktorientierte Unternehmen folgen ab 2026. Entsprechend ist jedem Unternehmer nur zu raten, sich frühzeitig mit der eigenen Klima- und Umweltbilanz zu beschäftigen. Hinzu kommt: Selbst wenn z. B. ein kleinerer Immobilienverwalter nicht von der Taxonomie betroffen ist, so ist es vielleicht sein Investor oder Mieter. Diese müssen auf der ganzen Wertschöpfungskette Nachhaltigkeitskriterien einhalten, so dass Immobilien mit einer schlechten Umweltbilanz für sie nicht in Frage kommen.
Social: der Mensch im Fokus
Auf dem „Environmental“ liegt in der Immobilienwirtschaft also viel Gewicht – doch wie Gebäude in Zukunft bewertet werden, wird auch von Kriterien der sozialen Nachhaltigkeit beeinflusst. Hier geht es um den Umgang mit den Menschen, die direkt oder indirekt mit der Immobilie in Beziehung stehen. Dazu gehören neben dem Nutzungskomfort vor allem die Sicherheit und die Gesundheitsverträglichkeit der geschaffenen Umgebung. Gerade die beiden letzten Punkte haben durch die Pandemie an Bedeutung gewonnen. So sind bei Büro-Immobilien z. B. größere Sitzabstände einzuhalten sowie die Strukturen für hybride und mobile Arbeit zu schaffen. Hier fließen einige Aspekte von New Work ein.
Die Digitalisierung bietet dafür die Voraussetzung – und nicht nur für remotes Arbeiten. Durch smarte Raumbuchungssysteme können auch flexible Arbeitsplätze innerhalb der Immobilie geschaffen werden. Dadurch wird Büroraum effizienter genutzt und eingespart, was gleich zwei ESG-Kriterien erfüllt: Die Arbeitnehmer profitieren neben dem Gesundheitsschutz auch von mehr Freiheit bei der Gestaltung von Beruf und Freizeit. Gleichzeitig entfällt das Pendeln zur Arbeit und weniger Büroraum muss beheizt werden, was wiederum den CO2-Ausstoß verringert und Kosten spart.
Good Governance bereits bei der Immobilienplanung
Die Governance-Kriterien sind im Vergleich zu den anderen zwei Bereichen etwas schwerer zu erfassen und zu kontrollieren. Hier ist die Unternehmensführung gefordert, ein System zu schaffen, das frei von Korruption, Vorteilsnahme und Diskriminierung ist. Gleichzeitig ist ein hohes Maß an Transparenz gefordert – gegenüber Mietern, Investoren und dem Staat. Die Geschäftsethik sollte in Compliance-Regularien festgelegt sein, die über gesetzliche Anforderungen hinausgehen und Mieterkommunikation, Reputation und Berichtswesen regeln.
Wichtig ist, dass Governance-Grundsätze schon während der Projektplanung und Immobilienentwicklung befolgt werden, z.B. für die Auftragsvergabe, den Grundstückserwerb und das Einholen aller Zulassungen. Zudem gilt es, Anwohner in die Quartiersbildung mit einzubeziehen, die Interessen der Nachbarn zu wahren und idealerweise sogar einen Mehrwert für sie zu schaffen.
Fazit: ESG-Kriterien prägen die Immobilienwirtschaft immer mehr. Ihre Einhaltung ist kein „Goodwill“, sondern eine Notwendigkeit, die den Wert einer Immobilie maßgeblich mitbestimmt. Aufgrund der vielfältigen Anforderungen werden Immobilienunternehmen nur mit Hilfe der Digitalisierung mit der Entwicklung Schritt halten können. Smarte Gebäudetechnik und IoT-Plattformen sorgen dabei für Energieeffizienz und Transparenz. Sie erleichtern die Datenerhebung auf Objektebene deutlich, die von vielen Verwaltern immer noch als Herausforderung angesehen wird. Gleichzeitig liefern sie die nötigen Daten, um den umfassenden Reportingpflichten nachzukommen, die der Gesetzgeber von der Branche fordert. Damit sorgt der Wunsch von Gesellschaft und Politik nach mehr Nachhaltigkeit für eine noch stärkere Verzahnung von Digitalisierung und Immobilienwirtschaft.
ESG und CSR
Entwickelt wurde ESG 2004 von dem Schweizer Finanzstrategen Ivo Knoepfel.
Das Konzept ist die Weiterentwicklung von CSR, der Corporate Social Responsibility. Auch bei CSR geht es um unternehmerische Verantwortung – aber mit dem Unterschied, dass sie eher qualitativ bewertet wird. ESG dagegen hat klar definierte Kriterien, nach denen die Performance eines Unternehmens auch quantitativ bewertet werden kann.
Referenzen
1 JLL-Studie „Decarbonizing Cities and Real Estate“
2 2020 Global Status Report for Buildings and Construction
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