ESG und New Work: Aufbruchstimmung in der Immobilienwirtschaft
Unsere Lebenswelt verändert sich gerade in rasantem Tempo. Besonders Pandemie und Energiekrise hinterlassen ihre Spuren. Die eigentliche Veränderung geht jedoch viel tiefer: Unser Wertesystem verschiebt sich und bestimmt, wie wir in Zukunft wohnen, leben und arbeiten wollen.
Auch in der Immobilienwirtschaft ist der Wandel spürbar. Die Trends, die sie prägen, tragen – auch ein Zeichen der Zeit – gerne englische Namen und sind eng miteinander verwoben. Zwei davon: ESG (Environmental, Social, Governance) und New Work.
ESG ist ein freiwilliges Bekenntnis von Konzernen zu einer nachhaltigen und ethischen Geschäftsführung in den Verantwortungsbereichen Umwelt, Soziales und Management. Das Konzept ist eine Weiterentwicklung des Leitbilds der „Corporate Social Responsibility“ (CSR), nach dem Unternehmen einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft und Umwelt leisten sollen. Bei Immobilienunternehmen hat ESG sowohl Auswirkungen auf die eigene Arbeitswelt (bspw. Schonung von Ressourcen im Unternehmen oder Berücksichtigung der Chancengleichheit von Arbeitnehmern) als auch auf Bau und Verwaltung der Gebäude selbst (bspw. Errichtung klimaneutraler und barrierefreier Gebäude und keine Vermietung an ethisch zweifelhafte Unternehmen).
Die Digitalisierung ist Schrittmacher für New Work
Bei der Umsetzung eines ESG-konformen, nachhaltigen Managements sind digitale Lösungen ein entscheidender Faktor für Immobilienunternehmen. Dies betrifft beispielsweise den ökologischen Verantwortungsbereich, da viele Smart-Building-Anwendungen die Effizienz der Gebäudetechnik steigern und den CO2-Ausstoß verringern.
Zudem ist ein stabiles, leistungsfähiges Gigabit-Netz auch die Voraussetzung für papierloses, remotes und hybrides Arbeiten sowie für Homeoffice. Dies sind wesentliche Bestandteile von New-Work-Konzepten im Rahmen der sozialen Verantwortung eines Unternehmens für die eigene Belegschaft.
Durch einen zunehmenden Wertewandel mit Fokus auf Nachhaltigkeit und die Flexibilisierung von Arbeit nimmt New Work in der Arbeitswelt eine immer wichtigere Rolle ein.
New Work
- flexible Arbeitszeiten (u.a. Jobsharing, Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit)
- flache Hierarchien, demokratische Unternehmensstruktur
- flexibler Arbeitsort (u.a. Homeoffice, hybrides oder remotes Arbeiten)
- agile Strukturen, kurze Entscheidungswege
- fachliche Flexibilisierung (u.a. fluide Teams, Collaboration, Crowdsourcing)
- persönliche Kompetenzentfaltung und Potenzialentwicklung
Ein Unternehmen, das konsequent den Weg Richtung „New Work“ gegangen ist, ist das ESW – Evangelisches Siedlungswerk. Das bayerische Wohnungsunternehmen verwaltet rund 13.000 Wohn- und Gewerbeeinheiten. Hannes B. Erhardt, Vorsitzender der Geschäftsführung, erläutert im Interview, warum sein Unternehmen sich zu diesem Schritt entschieden hat, wie New Work im ESW aussieht und was die Digitalisierung dafür leisten muss.
Was genau bedeutet New Work für Sie?
Hannes B. Erhardt: New Work bezeichnet einen strukturellen Wandel der bisherigen Arbeitswelt und steht für die Freiheit, Arbeit und Freizeit individuell in Einklang zu bringen, aber auch dafür, sein persönliches Potenzial entfalten zu können.
Dafür den idealen Rahmen zu schaffen, ist eine notwendige Voraussetzung. Viele glauben, sie hätten ein New-Work-Office, wenn sie einen Kicker aufstellen. Das ist natürlich nicht der Fall. Zum New-Work-Office gehört eine hervorragende technische Ausstattung, Software, ein weit fortgeschrittener Digitalisierungsgrad und vor allem auch ein bestimmtes Mindset. Wir haben das Ganze mit einem Kulturwandel verbunden, angefangen bei unseren Führungskräften, mit der Überschrift „Führen auf Augenhöhe“ und frei von Insignien der Macht. Jeder hat seine speziellen Fähigkeiten und wir alle leisten einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg.
Anders als viele Unternehmen sind wir aber der Überzeugung, dass das Büro auch in Zukunft eine große Bedeutung haben wird. New Work-Arbeitsplätze bieten viel Freiraum für kreatives, aber auch für konzentriertes Arbeiten. Homeoffice, Coworking Spaces und digitales Nomadentum sind dann zwar selbstverständlich. Wir haben aber immer noch Meeting-Räume und Tafeln zum Bemalen. Das Büro muss einfach der schönste Ort zum Arbeiten sein, dann kommen die Mitarbeiter von alleine.
Was ist heute anders als vor der Einführung des New-Work-Konzepts?
Hannes B. Erhardt: Unsere Erwartungen sind weit übertroffen worden. Ich hatte nicht gedacht, dass es so eine Dynamik bekommt. Wir haben eines der modernsten Büros in der Metropolregion Nürnberg und das haben die Mitarbeiter verinnerlicht. Man spürt den Stolz auf das Büro, wenn man durchs Haus geht, und das führt zu einer gestiegenen Motivation bei den Mitarbeitenden. Die Abteilungen und die gesamte Unternehmensgruppe sind enger zusammengerückt – obwohl zum Teil mehr physische Distanz besteht. Die Vorteile des Zusammenseins werden genauso erkannt wie die Vorteile, remote zu arbeiten. Die kurzen Kommunikationswege werden geschätzt, zum Beispiel dass man sich im Chat schnell abstimmen kann. Wenn Neue ins Unternehmen kommen, berichten sie immer von der riesigen Hilfsbereitschaft hier. Das ist dieses Wirgefühl, dieses Zusammenhalten.
Das heißt, die Fluktuation ist wahrscheinlich sehr gering bei Ihnen?
Hannes B. Erhardt: Im Unternehmen gibt es eine sehr hohe positive Fluktuation – das heißt, von anderen Unternehmen zu uns. Durch New Work haben wir einen Wettbewerbsvorteil an dieser Stelle: Bewerber erleben eine Art Wow-Effekt. Besonders Arbeitnehmer aus den technischen Berufen, also Architekten und Ingenieure, bekommen leuchtende Augen.
Führt das New-Work-Konzept auch zu besseren Arbeitsergebnissen oder zu mehr Effizienz?
Hannes B. Erhardt: Wir arbeiten definitiv effizienter. Die Besprechungen sind knackiger geworden. Man bespricht sich auch öfter mal kurz, weil durch das offene Büro ganz schnell Anknüpfungspunkte für so etwas entstehen. Insofern würde ich, ohne es genau messen zu können, sagen, dass unsere Effizienz gestiegen ist.
Was würden Sie einem anderen Unternehmen empfehlen, das ein New-Work-Konzept umsetzen möchte? Was sind die drei wichtigsten Schritte?
Hannes B. Erhardt: Der erste und wichtigste Schritt ist die Entscheidung, es zu machen. Dazu sollte man zu 100 % stehen und später, wenn der Wind ein bisschen stärker bläst, nicht wackeln. Ein bisschen New Work, das geht einfach nicht. Sobald man anfängt, Kompromisse zu machen, funktioniert das ganze System nicht mehr. Wir haben ein paar Rahmenbedingungen sehr früh festgelegt, so war für alle klar: Das ist die Marschrichtung, da wollen wir hin.
Der zweite Schritt war, zu überlegen, bei welchen Entscheidungen und wie intensiv wir die Mitarbeiterschaft einbeziehen. Bei der Einrichtung des Büros hat jeder seinen privaten Geschmack. Wir haben versucht, einen Rahmen zu bilden, aber trotzdem auch die Mitarbeiter abzuholen mit ihren Ideen für ihre Base.
Der dritte Schritt ist, dass man sich klarmacht, dass man nicht 100 % der Belegschaft abholen wird. Man sollte sich an den konstruktiven Leuten festhalten, die den Prozess mitgestalten, die mitreißen können.
Dem New Work folgt das New Living. Auch viele Ihrer Mieter arbeiten öfter zuhause. Wie verändert das die Wohnimmobilien? Werden sie anders beansprucht?
Hannes B. Erhardt: Die Verbräuche von Gas und Wasser werden schon steigen. Das haben wir ja schon in der Corona-Zeit gemerkt. Ich glaube, dass es zwei parallel laufende Trends gibt. Zum einen werden die Leute aufgrund der aktuellen Preisentwicklung sparsamer, was den Flächenverbrauch angeht. Sie suchen wieder nach Dreieinhalb-Zimmer-Wohnungen statt nach vier Zimmern. Aber auch das Thema Büroraum zuhause ist fast überall im Blickfeld. Salopp gesagt: Man braucht zuhause ein Arbeitszimmer, aber wegen der Energiekosten bitte nur ein halbes. Hinzu kommt eine vermehrt flexible und heterogene Nutzung von Räumlichkeiten und mehr Sinn für Nachhaltigkeit.
New Work und Digitalisierung gehören zusammen. Welche Digitalisierungstechnologien gehören dazu, wenn man als Unternehmen New-Work-Konzepte umsetzen möchte?
Hannes B. Erhardt: Es geht nur mit einem fortgeschrittenen Grad der Digitalisierung. Und das Ziel sollte das papierlose Büro sein. Da sind wir schon sehr weit. Ein digitaler Zugriff auf Unterlagen ist selbstverständlich, genauso wie auf die Softwareprogramme und ERP-Systeme. Dazu kommen Organisations- und Verwaltungsmöglichkeiten von zu Hause für Termine, Räume, Reisen und Abrechnungen.
Papierunterlagen haben wir ziemlich radikal weggeworfen und nur aufgehoben, was Aufbewahrungsfristen unterliegt. Bei dem Rest musste jede Abteilung für sich entscheiden, was sie digital braucht. Das haben wir dann lasterweise nach Hamburg gefahren und dort digitalisieren lassen. Natürlich haben wir noch Papier und Drucker, aber kein festes Büro, sondern nur unseren Spind. Nach vier Wochen habe ich festgestellt, dass der langsam voll ist und aufgehört hat zu drucken. Es kommt aber noch zu viel Schriftverkehr in Papierform von außen, den wir dann scannen. Noch schöner wäre es, wenn die Prozesse endgültig digital wären.
Lieber Herr Erhardt, lassen Sie uns am Schluss noch einmal zusammenfassen, was genau alles beim ESW im Zuge von ESG und New Work umgesetzt wurde.
Hannes B. Erhardt: Wir haben, was unser Haupthaus angeht, einen komplett elektrischen Fuhrpark. Wir haben für unsere Mitarbeiter Fahrräder, E-Bikes für die Stadt und sogar Lastenräder. Sie werden belohnt, wenn sie mit der Bahn fahren und nicht mit dem Auto. Und durch New Work gibt es auch weniger Fahrerei zum Arbeitsplatz.
Wir haben das Bestandsgebäude beim Umbau nicht abgerissen, sondern komplett entkernt. Das damit eingesparte CO2 entspricht ungefähr 560 Flügen von München nach Bangkok. Außerdem betreiben wir unsere Kühlung und unsere Heizung mit Geothermie.
Die flexiblen Arbeitszeitmodelle wirken sich unheimlich positiv auf die Mitarbeitenden aus, auf deren Familien und auf die Gesundheit.
Außerdem steht New Work für die Förderung der einzelnen Person, dass sie sich nach ihren persönlichen Stärken entwickeln und sich einbringen kann, wo sie am besten aufgehoben ist.
Herr Erhardt, vielen Dank für das Gespräch!
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