Deutschland nimmt im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ein. Im Life-Work-Index des Personaldienstleisters Remote belegt Deutschland in Europa hinter Luxemburg, Spanien und Norwegen den vierten Platz.
Heute wünscht sich vor allem die jüngere Generation kürzere oder flexible Arbeitszeiten und die digitale Arbeit im Homeoffice – das macht für sie eine gute Work-Life-Balance aus. Eines der zukunftsträchtigsten Work-Life-Balance-Modelle ist die Vier-Tage-Woche. Sie wird in unterschiedlichen Varianten seit 2019 beforscht und getestet, mal mit und mal ohne Arbeitszeitverkürzung. Die Ergebnisse überraschen. In vielen Betrieben wurde mit kürzeren Arbeitszeiten dieselbe oder eine höhere Produktivität erzielt.
Das klingt verlockend. Doch demgegenüber steht in Deutschland derzeit ein eklatanter Fachkräftemangel. Schon jetzt entstehen dadurch viele Überstunden. Einige Branchen schließen Work-Life-Balance-Modelle vollständig aus, wenn sie mit einer Reduktion der Arbeitszeit verbunden sind. Dazu gehören die Pflege und Kitas.
Es lohnt sich in jedem Fall für Unternehmen, über die Work-Life-Balance nachzudenken. Gesündere Beschäftigte arbeiten konzentrierter und sind motivierter, produktiver, seltener krank und bleiben länger im Unternehmen. Möglicherweise kommen dafür auch Varianten der Vier-Tage-Woche infrage, die ohne die Reduktion der Arbeitszeit auskommen.
Modell Vier-Tage-Woche – mit und ohne Arbeitszeitverkürzung
Weltweit haben verschiedene Programme zur Umsetzung der Vier-Tage-Woche für große Aufmerksamkeit gesorgt. Sie zielen darauf ab, intelligenter statt länger zu arbeiten. Dabei ist die Umorganisation von Arbeit die Grundlage für ein besseres Wohlergehen der Belegschaft.
Das 2019 gegründete Unternehmen 4 Day Week Global begleitete hierzu Pilotprojekte in Großbritannien, USA, Irland, Australien, Neuseeland und weiteren Ländern. Auch in Europa wird getestet, welche Auswirkungen das Modell haben kann.
Das bekannteste Modell der Vier-Tage-Woche nennt sich 100-80-100™, was so viel bedeutet wie: 100 Prozent des Gehalts, 80 Prozent der Zeit, aber 100 Prozent der Produktivität. Für eine große Studie wurde dieses Modell in Großbritannien in mehr als 60 Unternehmen getestet. Die zentralen Ergebnisse waren:
65 Prozent weniger Krankheitstage
1,4 Prozent Umsatzanstieg der beteiligten Unternehmen
der beteiligten Unternehmen wollten bei der Vier-Tage-Woche bleiben
57 Prozent weniger Angestellte, die das Unternehmen verließen
4 von 10 Beschäftigten fühlten sich weniger gestresst als vor dem Projekt
Bei Pilotprojekten von 4 Day Week Global in den USA und Irland zeigte sich ebenfalls, dass die Produktivität nicht sank, sondern stieg. Zugleich konnten neue Arbeitskräfte akquiriert werden.
Nicht immer geht die Vier-Tage-Woche mit einer verkürzten Arbeitszeit einher. In Belgien konnten Arbeitnehmer:innen für ein Pilotprojekt einen Antrag darauf stellen, ihre Wochenarbeitszeit auf vier Tage zu verteilen. Bei der 40-Stunden-Woche ergeben sich daraus zehn Stunden Arbeit täglich von Montag bis Donnerstag, danach sind drei Tage frei.
Dies sind die am weitesten verbreiteten Varianten der Vier-Tage-Woche:
Modell 1: Verkürzte Wochenarbeitszeit bei gleichem Lohn und gleicher Produktivität
Unternehmen verringern die wöchentliche Arbeitszeit, bezahlen aber das volle Gehalt, beispielsweise nach dem oben beschriebenen Prinzip 100-80-100™.
Modell 2: Vier-Tage-Woche bei gleichbleibender Wochenarbeitszeit
Sofern arbeitsrechtlich nichts dagegenspricht, können Beschäftigte alternativ ihre volle Arbeitszeit auf vier Tage verteilen statt auf fünf, um dann drei Tage freizuhaben.
Modell 3: Wahlarbeitszeit mit Vollzeitkorridor abhängig von erreichten Zielen
Bei diesem Ansatz können die Arbeitnehmer:innen frei entscheiden, wann und wie schnell sie ihre Aufgaben erledigen wollen. Sie dürfen ihre Wochenarbeitszeit lebensphasenorientiert anpassen und zum Beispiel von fünf auf vier Tage reduzieren. Wenn sie länger arbeiten möchten, ist dies ebenfalls denkbar – allerdings unter Beachtung der Ruhezeiten. Bezahlt wird jeweils eine Vollzeitstelle.
Modell 4: Die Vier-Tage-Woche als Teilzeitanstellung
Für dieses Modell wird die Arbeitszeit deutlich verringert und das Gehalt entsprechend angepasst.
In Rotenburg (Wümme) gibt es in Kooperation mit der IG Metall ein weiteres interessantes Projekt: Die Firma Borco Höhns, Hersteller mobiler Verkaufsfahrzeuge, bietet ihren Arbeiter:innen bei einer Vier-Tage-Woche sogar mehr Lohn. Einzige Bedingung: Die Belegschaft muss dafür jeden Tag eine halbe Stunde länger arbeiten und erarbeitet sich auf diese Weise zunächst zwei freie Freitage im Monat. Dafür winken laut dem neuen Haustarifvertrag fünf Prozent mehr Lohn. Geplant ist die reguläre Vier-Tage Woche, bei der jeder Freitag frei ist. Unterm Strich erlässt der Firmenchef der Belegschaft eine halbe Wochenarbeitsstunde.
Die Entscheidung über die Umsetzung der Vier-Tage-Woche unterliegt in Deutschland der Tarifautonomie und nicht der Politik. Der Gewerkschaftsbund warnt davor, dass das Modell mehr Stress auslösen könnte, anstatt diesen abzubauen. Menschen könnten unter Druck kommen, wenn sie merken, dass sie dieselbe Arbeit in weniger Zeit ableisten sollen.
Modell Work-Life-Integration
Einige Jobcoaches und Arbeitsmarktexpert:innen halten das Konzept der Work-Life-Balance für eine Mogelpackung. Sie gehen davon aus, dass es eine Trennung von Arbeit und Privatleben nicht wirklich gibt.
Hier setzt das Modell der Work-Life-Integration an, das darauf abzielt, die Berufstätigkeit mit der Freizeit noch mehr zu vereinen. Das Modell kann sinnvoll sein, wenn Sie die das hybride Arbeiten im Homeoffice und im Büro häufig kombinieren, Vertrauensarbeitszeit die Grundlage bildet und sporadisches Arbeiten am Wochenende eingeplant ist. Die Work-Life-Integration ermöglicht Flexibilität bei den Arbeitszeiten und eine hohe Selbstbestimmtheit. Arbeit bezieht sich eher auf Aufgaben und weniger auf Fristen. So soll Arbeitszeit bewusster erlebt und mit mehr Motivation verbunden werden. Sie wird also nicht einfach „abgesessen“.
Die Work-Life-Integration ist längst im Berufsalltag angekommen, auch wenn dies vielen Beschäftigten nicht bewusst ist. Ein Anzeichen hierfür ist zum Beispiel, dass Angestellte häufig auch in der Freizeit berufliche E-Mails lesen und beantworten oder an Wochenenden Aufgaben erledigen. Auch nutzen einige Mitarbeitende ihren Arbeitsweg, um zum Beispiel eine Präsentation vorzubereiten.
Eine Work-Life-Integration findet bereits statt, wenn der Arbeitstag später beginnt, weil ein Kind noch in die Schule gebracht werden muss, oder wenn sich der Feierabend nach hinten verschiebt, weil zwischendurch schnell ein Wocheneinkauf erledigt wird.
Modell Work-Life-Separation
Ein anderer Ansatz sieht die besonders strikte Trennung von Arbeit und Privatleben vor. Die Theorie: Nur dies garantiere eine gute Work-Life-Balance. Zur Work-Life-Separation gehört es, nach Feierabend, am Wochenende und im Urlaub die elektronischen Geräte abzuschalten und nicht erreichbar zu sein.
Junge Arbeitnehmer:innen (Generation Y) tendieren dazu, dieses Modell zu bevorzugen. Eine zu hohe Flexibilität empfinden sie als schädlich für die Work-Life-Balance. Sie möchten sich im Feierabend nicht mehr mit ihrem Job beschäftigen und keine Arbeit mit nach Hause nehmen.
Modell Work-Fun-Balance
Das Work-Fun-Balance-Modell legt den Fokus darauf, den Spaß bei der Arbeit zu erhöhen. Als geeignete Maßnahmen bieten sich zum Beispiel an:
das Vermeiden von Routine
Teamgeist
die Gestaltung eines angenehmen Arbeitsumfeldes
Anreize für eine sinnvolle Selbstorganisation
Dieser Ansatz lässt Raum für den individuellen Biorhythmus der Mitarbeiter:innen. Das Ziel ist hierbei, dass Arbeitnehmer:innen ihre Arbeit gern verrichten.