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Quicksand bei Netflix: Eine wahre Geschichte?
Das erste schwedische Netflix-Serienoriginal Quicksand- Im Traum kannst du nicht lügen dreht sich um einen rätselhaften Amoklauf. Wir verraten, ob es sich dabei um eine wahre Geschichte handelt und wie stark sie sich an der Realität orientiert. Erfahrt außerdem, wie es um Staffel 2 steht.
Achtung, es folgen Spoiler zum Ende und zur Auflösung von Quicksand!
Maja gilt an ihrem schwedischen Elite-Gymnasium als hervorragende Einserschülerin aus liebendem und wohlhabendem Elternhaus. Beliebt, bildschön, pflichtbewusst - auch das ist Maja.
Jetzt sitzt sie im Klassenraum in einem Halbkreis aus mehreren leblosen und blutigen Körpern, darunter einige ihrer wichtigsten Bezugspersonen, neben sich ein Gewehr. Eine weitere Waffe befindet sich in ihrem Spint. Blut auf Linoleum, Sirenen und Panikschreie. Maja ist die einzige Überlebende eines Amoklaufs in einem Klassenzimmer. Und die mutmaßliche Täterin.
„Es ist eine Geschichte über ihren Fall von ganz oben nach ganz unten”, erklärt Frida Asp, Produzentin der neuen hochkarätigen Netflixserie Quicksand - Im Traum kannst du nicht lügen. Im Grunde ist Quicksand allerdings noch viel mehr als das: Erstes schwedisches Netflix Original, psychologisches Drama, Sozialkritik, Aufklärung und Weckruf zugleich.
Es ist aber auch hochwertiges Seriengold aus einer Mischung der packenden Erfolgsserien Tote Mädchen Lügen nicht und The Sinner. Was Quicksand glücklicherweise nicht ist: eine billige Kopie, ein pathetisch-prätentiöses Teeniedrama oder auch einfach nur irgendeine weitere Netflix-Serie. Wir verraten, ob es sich bei Quicksand um wahre Begebenheiten handelt, was Jugendliche in der Serie und in der Realität zu Amokläufern macht und alle bisherigen Infos zu Staffel 2.
Sind Serien wie Tote Mädchen lügen nicht gefährlich? Wir haben eine eindeutige Antwort für die umstrittenste Frage zur polarisierenden Netflix-Serie gefunden.
Quicksands Handlung: Beruht der Amoklauf auf einer wahren Begebenheit?
„Der Grund, warum ich über einen Amoklauf an einer Schule schreiben wollte, lag nicht unbedingt in dem Verbrechen selbst, sondern in seiner Umgebung. Also in der Schule. Die Schule ist eine sehr geschlossene Umgebung. Mein Buch dreht sich um unkontrollierbare Situationen in geschlossenen Räumen”, erläutert Malin Persson Giolito im Interview mit otherpress.com.
Die Autorin der schwedischen Bestsellervorlage Im Traum kannst du nicht lügen (schw.: Störst av Allt, dt.: Das Beste von allem) wurde bereits für die Romanvorlage zu Quicksand gefeiert und ausgezeichnet. Die Geschichte selbst ist rein fiktiv, und doch so nah an der Wirklichkeit. Sie rückt ein alarmierendes gesellschaftliches Thema aus den unmittelbaren Lebensrealitäten vieler Jugendlicher aus aller Welt in den Mittelpunkt. Wir erklären, wie realistisch Quicksand wirklich ist.
Maria „Maja” Norberg ist Musterschülerin an einer Eliteschule in einem der wohlhabendsten Viertel in der Nähe Stockholms. Sie liebt ihre kleine Schwester Lina, Facetime und ihre beste Freundin Amanda. Ein gepflegtes Zuhause, liebende Eltern und Luxusurlaub in Südfrankreich, das ist der Stoff, aus dem das Leben der 18-Jährigen gestrickt ist. Auch ihr neuer Freund Sebastian lebt in Saus und Braus, lungert auf seiner Luxusyacht herum und versteht sich vor allem aufs Partymachen.
Eines morgens geschieht ein schreckliches Unglück am Gymnasium: Bei einem Amoklauf werden vier Menschen getötet. Maja, blutverschmiert und sprachlos, überlebt das Blutbad. Alles spricht dafür, dass sie selbst für die schreckliche Tat verantwortlich ist.
Doch wenn diese Theorie wahr ist, wie konnte aus der braven und behüteten Schülerin eine heimtückische Attentäterin werden? Ist Maja womöglich ein Opfer ihrer direkten Umgebung oder doch eine eiskalte Killerin?
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Quicksand - Im Traum kannst du nicht lügen ist bei Netflix verfügbar (Link zur Anzeige).
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„Störst av Allt”: Maja Norberg und die Frage nach dem Warum
Quicksand erzählt in eindringlichem Storytelling ähnlich dem aus den Netflix-Erfolgen Tote Mädchen lügen nicht und The Sinner eine Geschichte, die mit einer vorerst unerklärlichen Ausgangssituation öffnet.
In Rückblenden werden die komplexen gesellschaftlichen Zusammenhänge, Umstände und Auslöser der Wahnsinnstat erklärt und schließlich aufgelöst. Ein psychologisches Drama inklusive einer Whodunit-Geschichte wie Quicksand-Produzentin Fatima Varhos in einem Behind-the-Scenes-Video die Serien-Adaption beschreibt.
Insbesondere für die deutliche und vor allem neuere Sozialkritik an der schwedischen Wohlstandsgesellschaft und für ihren gelungenen Spannungsbogen kassierte Autorin Malin Persson Giolito großes Lob - wie auch die Serienadaption. Die stellt in jeder Minute die Frage nach dem Warum.
Skriptautorin Camilla Ahlgren, wohlbekannt für düstere Scandi Noir-Hits wie Die Brücke, setzt reale Miss- und Notstände unter dem Nachwuchs der Upper Class geschickt in Szene. Dabei lässt sie klischeehafte und volkstümliche Annahmen über Herkunft, Mindset oder Hintergrund der vermeintlichen Täter größtenteils außen vor. Eine völlig neue Geschichte entspinnt sich hinter einer altbekannten wie gefürchteten menschlichen Tragödie. Und dennoch, die Auslöser bleiben dieselben …
Quicksands Realismus: Was macht Jugendliche zu Amokläufern?
Erfurt, Emsdetten, Winnenden - Städte, deren Katastrophen-Konnotation in den Köpfen vieler Deutscher nach wie vor mitschwingt. Mittlerweile sind Amokforscher sich einig, dass die wenigsten Täter ein stichfestes soziales Profil teilen.
Das Klischee vom gemobbten und Computerspiele zockenden Außenseiter deckt die Realität schon seit vielen Jahren nicht mehr ab. Psychologe und Amokforscher Jens Hoffmann von der Universität Darmstadt betont auf den Seiten des BR: Die jungen Täter kommen „mal aus problematischen Familien, mal aus guten Familienstrukturen.” Auch die populäre Einzelgängerthese wurde bereits widerlegt, zum Beispiel von der sogenannten Target-Studie des Bundesforschungsministeriums.
Innerhalb dieses Projektes von 2014 wurden laut BR „37 Studien mit insgesamt 126 Taten in 13 Ländern” unter die Lupe genommen. Man erhoffte sich Einblicke in die Psyche der jugendlichen Täter. Die Ergebnisse widerlegten so manchen Stereotyp: Demzufolge waren die jugendlichen Amokläufer vor der Tat im Schnitt nicht mehr oder weniger zu Mobbingopfern geworden als ihre Mitschüler.
Die Hälfte von ihnen hatte Freunde vorzuweisen, lediglich ein Viertel der Täter galt als Einzelgänger. Ein entscheidender Unterschied zu US-amerikanischen sogenannten School Shootern bestand vor allem darin, dass in Deutschland häufiger auch Lehrer zu Opfern wurden. In den USA waren die Amokläufer bisher vor allem auf gleichaltrige Opfer fixiert gewesen. Beinahe scheint es, als hätten sich Quicksands authentische Hauptfiguren reichlich an diesen neuesten Forschungserkenntnissen bedient.
Felix Sandman als Sebastian: Ein neuer Prototyp eines Amokläufers?
Mit Amokläufer Sebastian Fagerman (Felix Sandman) scheint bei Netflix derzeit eine fiktionale aber realistische Version eines solchen Amokläufers über die Bildschirme zu flimmern. In der Serie ist er es, der das Massaker beginnt und seinen eigenen Vater, seinen Lehrer Christer und seinen dealenden Mitschüler Dennis erschießt und Majas Freund Samir schwer verletzt.
Die Folgen von Ausgrenzung, Mobbing und Mangelware Freundschaft? I wo! Sebastian umgibt sich häufig mit seinen Freunden Labbe, Amanda und natürlich Maja. In der Schule geraten die Mädchen über ihn in Verzückung, die Jungs stürmen seine Villa für wilde Parties. Sebastian ist kein Fan von Computerspielen, dafür findet sich ein Waffenbezug über seinen Vater im eigenen Haushalt und über Hobbyjägerin Maja.
Sebastian ist weder polizeibekannt, schwer kriminell, noch der Typ, dem seine Mitmenschen eine solche Wahnsinnstat zugetraut hätten. Auch damit entspricht er dem durchschnittlichen jugendlichen Attentäter, wenn es nach Berichten von Spiegel Online geht. Der Umstand, dass Sebastian nach seinem Amoklauf keinen Brief hinterlässt, entspricht ebenfalls seinen realen Vorbildern.
Ähnlich wie der deutsche Durchschnittsattentäter hat es außerdem auch der schwedische Netflix-Charakter unter anderem auf einen seinen Lehrer abgesehen: Einen Tag zuvor hatte der um ein ernsthaftes Gespräch mit seinem schulschwachen Schützling und deren Freunden gebeten.
Auch der Umstand, dass es in der Serie kurz vor dem Amoklauf zu übergreifenden und schulischen Problemen kam, deckt sich im Übrigen mit der „Target”-Studie des Bundesforschungsministeriums. Psychologe Herbert Scheithauer von der Freien Universität Berlin erklärt gegenüber dem BR: „In über 40 Prozent der Fälle gab es im Vorfeld der Tat Konflikte und Stress mit Lehrern oder anderen Schulvertretern. Das hat uns wirklich überrascht.”
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Neue Ursachenforschung für Amokläufe in Quicksand
Ein erster prägnanter Unterschied zu realen Amokläufen im Tatablauf von Quicksand: Sebastian richtet sich nicht selbst oder lässt sich gar von Einsatzkräften töten, wie das Groß der Amokläufer in der realen Welt. Er fordert im Kugelhagel seine Freundin Maja auf, ihn mit einer weiteren Waffe zu erschießen, die er selbst mitgebracht hat.
Maja leistet dem nach einem versehentlichen doch tödlichen Schuss auf Freundin Amanda Folge. Ein Tathergang, der so in der Realität noch nie dokumentiert wurde, aber das gesellschaftliche Problem, was hinter der Serie steht, auf bestmögliche Art und Weise verdeutlicht.
Auch bei der Auswahl der Opfer findet sich eine signifikante Abweichung: Dass Sebastian als erstes zu Hause seinen eigenen Vater umbringt, ist ebenfalls ein großer Unterschied, der von bisherigen Amokläufen an Schulen abweicht.
In einem Interview von 2012 mit der PNN betont Autorin und Amokforscherin Ines Geipel: „Das Auffallende an den Tätern ist: Egal, was in ihrer frühen Kindheit geschehen ist, keiner dieser jungen Schützen attackiert seine Eltern. Alle gehen den Umweg über den politischen Raum oder den Schulraum, der ja auch ein politischer Raum ist.”
Und dennoch hat Malin Persson Giolito mit ihrer ganz eigenen Konstruktion eines Amoklaufs nicht nur lediglich ihrer Fantasie zu freien Lauf gelassen. Denn die Ursachen für den Amoklauf des Sebastian Fagerman zielen auf einen gesellschaftlichen Brandherd ab, der bisher scheinbar nur sehr zögerlich von Forschern und Medien mit Amokläufen an Schulen in einen gemeinsamen Zusammenhang gebracht wurde.
Daher verleihen die zum Teil stark von den bisherigen realen Amokszenarien abweichenden Teile der Geschichte eine ganz besonders erschreckende Schlüssigkeit. Doch um welche sozialen Missstände geht es in Quicksand eigentlich?
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Affluenza in Quicksand: Wohlstandsverwahrlosung als Amok-Herd
Den Jugendlichen in Quicksand fehlt es materiell an rein gar nichts. Ihre noch kindlichen Lebensrealitäten sind Welten des Überflusses und des sorgenlosen Wohlstandes.
Während allerdings Maja in einem liberalen bis naiv-nachlässigen Elternhaus eine Kindheit voller Liebe und Zuwendung genoss, ging der steinreiche Sebastian durch eine häusliche Hölle. Das Epizentrum seines offensichtlich langjährigen Martyriums: sein eigener Vater Claes (Reuben Sallmander), der offiziell reichste Mann Schwedens.
Der abgehobene Geschäftshai hält „Urlaube für überbewertet”, überlässt den 18-Jährigen in seinem Alltag völlig sich selbst und prahlt gerne vor seinen Kumpels mit 120 kg schweren Thunfischen, die er auf den Azoren fängt.
Aus der Verachtung für seinen eigenen Sohn macht Claes keinen Hehl. Für seinen in Harvard studierenden älteren Spross hingegen hat er nur Lob übrig: „Lucas macht sich prächtig. Sebastian habe ich sogar überprüfen lassen. […] Er kommt zu 100 Prozent nach ihr […] Im Vergleich zu ihm wirkt sogar seine jämmerliche Mutter stabil und intelligent”, verkündet er angetrunken vor seinen Bewunderern.
Kein Wunder, dass der verwahrloste und einsame Junge aus der Mitte der Gesellschaft immer häufiger zu harten Drogen greift und sich schon früh am Tag starke Wodka-Drinks im High End-Mixer zusammenmischt.
Nach einem Suizidversuch seines Sohnes reagiert Claes auf Majas wütende Vorwürfe gelassen: „Er hat so viele Chancen bekommen und nicht genutzt”, beteuert Claes. Dass die Chancen seines Sohnes vor allem materieller und kaum emotionaler Natur sind, scheint für den eiskalten Rabenvater keinen Unterschied zu machen.
In Quicksand repräsentiert er auf überspitzte Art und Weise das Paradebeispiel eines Elternhauses, das den Nährboden für eine Entwicklungsstörung geradezu heranzüchtet. Die Rede ist von der sogenannten Affluenza, die Kritiknetz - Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft unter dem Begriff ‚Wohlstandsverwahrlosung’ folgendermaßen definiert:
Kinder und Jugendliche, denen es an persönlicher Zuneigung und Zuwendung der Eltern fehlt. Die Eltern versuchen, die fehlende Zeit für die Erziehung der Kinder oft durch vermehrte materielle Zuwendungen auszugleichen. Während Eltern einerseits für das materielle Wohl der Familie und Kinder sorgen, fehlt es andererseits an emotionaler Zuwendung und Liebe.
Der Begriff Affluenza wird derzeit in Deutschland noch kaum verwendet, als offizielle Krankheit gilt sie ebenfalls nicht. Teilweise wird der Begriff auch stark kritisiert. Weit geläufiger ist mittlerweile dafür der Begriff Wohlstandsverwahrlosung, der dasselbe Phänomen beschreibt. Sie wurde auch bereits in diversen Berichten über die Amokläufe von Erfurt und Winnenden erwähnt. Bereits 1986 berichtete der Spiegel über „die Krankheit, die noch in keinem Lexikon steht”.
Zitiert wurde der amerikanische Psychiater Roy Grinker aus dem Fachblatt The American Journal of Psychiatry, der feststellte: „Was eine solche Familie an Geld gewonnen hat, hat sie an Gefühlen und gelegentlich auch an gesundem Menschenverstand eingebüßt.”
Kurzum: Kinder werden mit materiellen Dingen und Geschenken, vor allem auch zur digitalen Selbstunterhaltung, überschüttet und sich selbst überlassen. Dafür finden die oft überarbeiteten Eltern kaum Raum für emotionale Unterstützung und liebevolle Zuwendung. Werte, Geborgenheit, Grenzen, Zwischenmenschliches und Erziehung finden kaum noch statt.
Reiche Kinder arm dran: Der Mangel an Anerkennung
Bemerkenswert der Umstand, dass die Forschung auch noch über 30 Jahre später offenbar nach wie vor über diesen sozialen Missstand bemerkenswert wenig Erkenntnisse zu vermelden hat. Es liegen derzeit kaum zitierbare Zahlen und Fakten zur Wohlstandsverwahrlosung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland vor. Das Thema scheint nach wie vor unter dem öffentlichen Radar zu laufen. Und das in einem Zeitalter, in dem die sogenannten Rich Kids of the Internet Hunderttausende Abonnenten zu verzeichnen haben.
In Quicksand wird der emotionale Notstand des Protagonisten zum Auslöser des Amoklaufs und genau an dieser Schnittstelle deckt sich Sebastians Geschichte wieder mit den Umständen realer Amokläufe. Denn den wichtigsten Grund für eine solche Wahnsinnstat, da ist sich Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer sicher, bildet für praktisch alle jugendlichen Amokläufer ein massiver Mangel an Anerkennung. Von „Orten der Kränkung” ist bei ihm die Rede.
Im Fall der Netflix-Serie liegt ein solcher Ort vornehmlich im eigenen Zuhause und weitet sich erst dann auf die Domäne Schule aus. Dabei müssen Familien nicht zur obersten Upper Class gehören, um mit einem bedenklichen Lifestyle einen potenziellen Amokläufer heranwachsen zu lassen: Nach den Experten des BR findet Wohlstandsverwahrlosung nämlich auch häufig in Mittelstandsfamilien statt, in denen Kälte und Übererwartung demnach weit verbreitet sein sollen.
Dass Luxus in so manchem wohlhabenden Haushalt mit Liebe verwechselt wird, scheint demnach alles andere als ein Netflix-Märchen zu sein. Der emotionale Treibsand, in den es die Angeklagte Maja in den Rückblenden der Geschichte nach und nach zieht, speist sich vor allem aus der Ignoranz der Erwachsenen.
Im Behind-the-Scenes-Clip zu Quicksand kommentiert Maja-Darstellerin Hanna Ardéhn die Geschichte: „Ich glaube, viele Eltern wollen wirklich nicht sehen, dass etwas nicht stimmt - bis es zu spät ist.” Eine Tatsache, die Kriminalpsychologin Karoline Roshdi, die sich mit Eltern von realen Amokläufern stärker auseinandersetzte, wohl sofort unterschreiben würde. Laut Roshdis Forschungen erkannten die Eltern der Amokläufer zwar die Anzeichen für die gefährliche Entwicklung des Kindes, schoben sie allerdings kurzerhand auf Abnabelungsprozesse und Pubertät.
In Quicksand wird Maja durch den emotionalen Notstand des depressiven und suizidalen Sebastian zur ersten Anlaufstelle ihres vernachlässigten und misshandelten Freundes.
Auf die Frage vor Gericht, warum die Musterschülerin selbst nach einer Vergewaltigung durch den immer aggressiver agierenden Sebastian eben diesem immer wieder zur Seite stand, weiß sie nur eine Antwort: „Weil er sonst niemanden hatte.” Der einzige, der die verhängnisvolle Dynamik zwischen den beiden Teenagern richtig einzuschätzen weiß, ist Lehrer Christer: „Maja, du bist sehr verantwortungsbewusst, aber du solltest dich nicht für alles verantwortlich fühlen.”
Quicksand schafft es trotz fiktiver Geschichte, sich nah an den belegten Umständen und Fakten realer schulischer Amokläufe zu orientieren. Dabei wird das erste schwedische Netflix-Original auch zu einer Serie, die erstmals die möglicherweise um sich greifende Wohlstandverwahrlosung für die Tragödie eines Amoklaufs verantwortlich macht und gängige Täterklischees außen vor lässt.
Die Serie porträtiert eine Gesellschaft, in der Kinder und Jugendliche im materiellen Überfluss auf der Suche nach Werten, Grenzen und Zuwendung sind. Ohne Pathos schafft Quicksand es, den Nöten der oft belächelten „armen reichen Teenies” Gehör zu verschaffen.
Arm dran trotz prallem Konto - spätestens nach Quicksand will niemand mehr mit ihnen tauschen.
Auch diese Teenies aus den besten Serien wie Élite laufen Gefahr, einer Wohlstandverwahrlosung zum Opfer zu fallen.
Quicksand Staffel 2: Wird es eine Fortsetzung bei Netflix geben?
Bisher hat Netflix sich noch nicht über eine zweite Staffel des psychologischen Dramas geäußert. Die Buchvorlage Im Traum kannst du nicht lügen von Malin Persson Giolito ist allerdings nach der ersten Staffel vollständig auserzählt.
Eine Fortsetzung könnte bei einem möglichen Erfolg von Quicksand allerdings dennoch zustandekommen. Thematisch stünden hier sicherlich vor allem die Folgen des Gerichtsprozesses und Majas psychischer Zustand im Mittelpunkt. Neue Details, die in der ersten Staffel verschwiegen wurden, fänden hier ebenfalls Platz. Möglich wäre eine zweite Staffel also in jedem Fall.
Immerhin wurde schließlich auch über die Buchvorlage Jay Ashers von Tote Mädchen lügen nicht hinaus eine zweite Staffel umgesetzt, die allerdings nicht mit den besten Kritiken glänzen konnte.
Eine zweite Staffel von Quicksand könnte sich aber auch möglicherweise eines ähnlichen Konzeptes wie Jessica Biels The Sinner bedienen - in Form einer Anthologieserie also. Damit könnten die Karten für eine zweite Staffel Quicksand völlig neu gemischt und eine ähnliche Geschichte im bekannten Stil erzählt werden. Nicht die wahrscheinlichere, aber vielleicht die klügere Variante, wenn man an so manch misslungene Erzählelemente aus Staffel 2 von Tote Mädchen lügen nicht denkt.
Frühestens in einem Jahr, im Frühjahr 2020, dürfte mit einer zweiten Staffel zu rechnen sein, sollte Netflix sich tatsächlich für eine Fortsetzung der schwedischen Serie entscheiden.