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The Northman: Das Ende und die Bedeutung des Wikinger-Epos erklärt
Robert Eggers’ Wikinger-Thriller „The Northman” ist ein wilder Mix aus Mythen, historischer Authentizität und nordischer Heldensage. Doch was hat das Ganze zu bedeuten? Wie schon in „Der Leuchtturm” treffen auch in Eggers’ neuestem Film zahlreiche Motive und Interpretationsebenen aufeinander. Was wirklich hinter The Northman steckt, kannst Du jetzt in unserer Erklärung nachlesen.
Robert Eggers ist zurück und das mit Gewalt. Widmete sich der Ausnahmeregisseur in „The Witch” noch dem religiösen Eifer des 17. Jahrhunderts und ließ in Der Leuchtturm den Wahnsinn zweier Männer im 19. Jahrhundert aufeinanderprallen, geht es diesmal ins düstere Mittelalter. Sein The Northman lässt die Welt der Wikinger wieder auferstehen – in all ihrem Glanz, ihrer Brutalität und ihren Mythen.
Doch was ist hier Realität und was findet nur in der Vorstellung statt? Gibt es die Götter in The Northman wirklich? Was hat es mit all den Visionen, Seherinnen, übernatürlichen Ereignissen und magischen Schwertern auf sich? Was bedeutet das Ende des Films? Und wie passt Shakespeares Hamlet in dieses Bild?
All diese Fragen werden wir im Folgenden für Dich klären.
Darum geht’s in The Northman: Die Handlung
Es ist das Jahr 895 und der Wikingerkönig Aurvandil (Ethan Hawke) kehrt ruhmreich von einem Feldzug zurück. Doch sein Blick ist auf die Zukunft gerichtet, weshalb er Vorbereitungen für seinen Tod trifft und seinen Sohn Amleth (Oscar Novak) auf seine zukünftige Rolle als König vorbereitet.
Aurvandils Halbbruder Fjölnir (Claes Bang) strebt aber selbst nach der Krone. Er tötet den König, nimmt dessen Frau, Amleths Mutter Gudrún (Nicole Kidman), gefangen und versucht auch den jungen Thronerben aus dem Weg zu schaffen. Dieser kann jedoch fliehen und schwört Rache für das Unrecht, das ihm und seiner Familie angetan wurde.
Jahre später zieht Amleth (jetzt Alexander Skarsgård) an der Seite einer kampfstarken Wikingerhorde mordend und plündernd durch das Land der Rus. Nach einem blutigen Überfall auf ein Dorf erscheint ihm jedoch eine Seherin, die ihn an seinen alten Schwur erinnert. Und bald ergibt sich auch schon eine Chance, um diesen einzulösen.
Amleth schmuggelt sich unter die Gefangenen und lässt sich als Sklave nach Island verkaufen. Dort hat sich sein Onkel Fjölnir, der mittlerweile aus seinem Königreich vertrieben wurde, eine neue Existenz aufgebaut. Zusammen mit der Sklavin Olga (Anya Taylor-Joy) lässt Amleth blutige Rache walten.
Mythen vs. Realität: Was passiert wirklich in The Northman?
Auch wenn es nach der Inhaltsangabe anders klingt: The Northman ist alles andere als ein gewöhnlicher oder gar geerdeter Rache-Thriller. Schon früh gesellen sich übernatürliche Elemente wie plötzlich verschwindende Seherinnen, nordische Gottheiten, sprechende Totenschädel und sogar waschechte Skelettkrieger zu dem Mix hinzu.
Schnell stellt sich hier also die Frage: Ist das alles real oder bildet sich Amleth diese fantastischen Dinge nur ein? Schließlich könnte es sich auch um schlichte Visionen, also Erscheinungen im Geiste handeln. Ganz so einfach ist es in The Northman aber doch nicht.
Denn was real ist und was nicht, entscheidet auch der historische Kontext und die entsprechende Wahrnehmung der Realität der Menschen zu dieser Zeit. So sieht es zumindest der Regisseur von The Northman, wie er es bei zahlreichen Gelegenheiten kundtat.
Robert Eggers’ Der Leuchtturm steckt ebenfalls voller Rätsel und Interpretationsebenen. Lies hier unsere Erklärung zu dem Fantasy-Horror.
Die Wahrnehmung der Realität in The Northman erklärt
In einem Interview mit Independent sagte Eggers dazu: “Was mich an Kulturen der Vergangenheit fasziniert, ist, dass die mythologische Welt und die reale Welt dasselbe sind.” Gegenüber The Guardian führt er weiter aus: “Es gibt Walküren und Riesen und Trolle, und es schreckt manche Leute ab, dass sie in diesen Sagen sind, die eigentlich naturalistisch sein sollen. Und ich bin dann so: Ja, aber sie haben daran geglaubt, dass sie real sind. Es ist naturalistisch für sie [die Wikinger; Anm. der Red.].”
Eggers verfolgte mit The Northman einen sehr realistischen Ansatz, wie er im Gespräch mit Indie Wire ausführt: “Ich habe mir keine Freiheiten genommen, außer bei Dingen, die wir heute nicht wissen, weil es vor 1000 Jahren war. Ich habe mein Möglichstes getan, um alles so historisch akkurat wie möglich zu halten.” Wie sich im Film zeigt, meint der Regisseur damit nicht nur die Kostüme, Waffen und sogar Schiffe, die er für seinen Film von Geschichtsexperten nachgestalten und -bauen ließ.
Zieht man die Interviewaussagen von Eggers in Betracht, ergibt sich ein klareres Bild, wie die Ereignisse in The Northman zu sehen sind. Authentizität bedeutet für Eggers, die Welt so zeigen, wie sie von den Wikingern damals wahrgenommen wurde. Reales und Übernatürliches verschmelzen zu einem Ganzen und sind untrennbar miteinander verbunden. Genauso wie die Perspektive der Zuschauer:innen mit der Perspektive der Wikinger verschmilzt.
Für die Wikinger gab es die Götter, Magie und Walküren wirklich. Und genau deshalb sind diese mythologischen Elemente auch in The Northman als real anzusehen – auch wenn unsere heutige Sicht auf das Geschehen etwas anderes sagt.
The Northman: Die Erklärung für das Ende
Nach dem Mord an seiner Mutter und seinem Stiefbruder tritt Amleth am Ende von The Northman seinem Onkel Fjölnir für eine finale Konfrontation auf einem Vulkan entgegen. Fjölnir will Rache für seine Familie, genau wie Amleth, doch dieser will nun vor allem auch die Zukunft von Olga und der in ihr wachsenden, gemeinsamen Kinder schützen.
Im Kampf töten sich die beiden gegenseitig. Beide sterben mit dem Schwert in der Hand, was sie nach dem alten nordischen Glauben für ein Leben nach dem Tod in den göttlichen Festhallen von Walhalla qualifiziert. Dies wird auch damit symbolisiert, dass man im Anschluss sieht, wie eine Walküre Amleth auf ihrem Pferd in Richtung Himmel trägt.
In der nordischen Mythologie wählen nämlich Walküren, weibliche Geisterwesen aus dem Gefolge von Göttervater Odin, gefallene Krieger auf dem Schlachtfeld aus, um sie nach Walhalla zu führen. Im Gegensatz zu einer vorherigen Szene, in der Amleth in seinem verletzten Zustand Olga mit einer weißhaarigen Walküre verwechselte, handelt es sich in dieser Szene aber nun wirklich um eine der göttlichen Schildjungfern.
Die Bedeutung des Baums: Amleths Linie und Yggdrasil
Dass Amleths Blutslinie mit seinem Tod nicht zu Ende ist, zeigt sich durch das Bildnis des Baums, das zum Schluss ein letztes Mal aufgerufen wird. Als Familienstammbaum zeigt er im Verlauf des Films immer wieder die Mitglieder von Amleths Familie, die in der letzten Szene zwei neue Mitglieder hat. Die beiden Kinder von Amleth und Olga.
Das Mädchen wird auf dem Stammbaum mit Krone und Herrscherinsignien gezeigt. Schon die Seherin im Lande der Rus deutete an, dass ein Mädchen zur Königin werden wird. Die letzte Szene verspricht, dass es sich bei der Königin um Amleths Tochter handeln muss.
Gleichzeitig steht das Bildnis des Baums aber auch für den Weltenbaum Yggdrasil, der in der nordischen Mythologie die verschiedenen Reiche des Kosmos, wie die Welt der Menschen (Midgard) und die Heimat der Götter (Asgard), verbindet. Außerdem steht er auch für die Schöpfung und das Leben, weshalb der Baum in einigen Szenen des Films auch mit dem Herz verbunden wird.
Da Yggdrasil im altnordischen Glauben von den drei Nornen gegossen wird, welche die Geschicke der Menschen und Götter lenken, steht er in The Northman auch in gewisser Weise für das Schicksal, an das Amleth gebunden ist. Sein Weg, seine Rache und sein Tod sind vorbestimmt, genau wie die große Zukunft seiner Kinder, die er vorbereitet.
Mehr Wikinger-Action gibt es gerade auch bei Netflix: Wir gut das Spin-off “Vikings: Valhalla” wirklich ist, erfährst Du in unserer Serien-Kritik.
Wikinger-Hamlet: Die Shakespeare-Parallelen
Schon bei oberflächlicher Betrachtung wird schnell klar, dass sich The Northman stark an der Handlung und den Grundmotiven von William Shakespeares Klassiker Hamlet orientiert. Immerhin ist der Name des Protagonisten Amleth bereits ein Anagramm von Hamlet, dem Titelhelden des berühmten Dramas. Und das ist nur die erste von vielen Parallelen.
Genau wie Hamlet ist Amleth der Sohn eines Königs, der von seinem eigenen Bruder (in diesem Fall Halbbruder) ermordet wird. Und auch hier übernimmt der Mörder nicht nur den Thron, sondern auch den Platz im Ehebett seines Opfers.
In Shakespeares Hamlet tarnt der junge Prinz seine Rachegefühle, indem er vorgibt wahnsinnig zu sein. Auch Amleth in The Northman gibt sich einer Form des Wahnsinns hin, hierbei handelt sich aber mehr um einen Blutrausch. Im Lande der Rus wird er zu einem Wolf des Krieges und wird Teil einer Gruppe von Kriegern, die sich in einen gefühllosen Schlachtenwahn hineinsteigern und ohne Rüstung in den Kampf ziehen.
Womöglich handelt es sich bei ihnen um die legendären Berserker, jene Krieger, die sich Vermutungen der Forschung zufolge wie im Film durch Tänze und Gesänge, womöglich aber auch durch Pilze und bestimmte Kräuter in eine Art selbstmörderische Kampftrance versetzten.
Eine weitere Übereinstimmung zu Shakespeares Stoff findet sich auch in der Szene, als Amleth in einer Höhle in Island auf einen Seher stößt. Dieser hat den Schädel des Hofnarren Heimir (Willem Dafoe) bei sich, der unter Amleths Vater diente. Auch in Hamlet stößt der junge Prinz auf den Totenschädel des Hofnarren Yorick, den er seit seiner Kindheit kannte. Und genau wie in The Northman spricht auch Hamlet mit dem Schädel des verstorbenen Narren.
The Northman: Die Bedeutung der Shakespeare-Verweise erklärt
The Northman zitiert keineswegs leichtfertig Hamlet, vielmehr geht das berühmte Drama selbst auf eine nordische Erzählung zurück. Shakespeare wurde nämlich von einer alten skandinavischen Sage zu Hamlet inspiriert, die sogenannte “Vita Amlethi” (“Das Leben von Amleth”).
Diese wurde zunächst mündlich von Generation zu Generation weitergegeben, bevor sie der dänische Geschichtsschreiber und Mönch Saxo Grammaticus erstmals um das Jahr 1200 niederschrieb. Die Vita Amlethi bildet die Grundbasis für das Drama von Shakespeare, vom Prinzen, über den Brudermord bis hin zum vorgetäuschten Wahnsinn.
Da erscheint es nur umso passender, dass Eggers den Stoff nun erneut aufgreift und die Sage von Amleth wieder in einen Wikinger-Kontext setzt. Auch wenn er mit The Northman nochmal sein ganz eigenes Ding daraus macht.
Der blutige Wikinger-Epos ist jetzt im Kino angelaufen. Ab wann und wo Du The Northman im Stream sehen kannst, erfährst Du übrigens bei uns im entsprechenden Artikel.
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