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Greatest Showman: Wer war P. T. Barnum wirklich?
Der Film Greatest Showman lehnt seine Musical-Geschichte an das Leben des Zirkusdirektors Phineas Taylor Barnum an. Im Film wird er als gönnerhafter Showmaster porträtiert, der im Grunde nur das Beste für seine andersartigen Manegen-Stars will. Die historische Figur hingegen gilt vor allem als skrupelloser Geschäftsmann und Begründer der US-amerikanischen Freakshows. Zeit für ein wenig Aufklärungsarbeit.
Was haben ein Busplakat, ein Flyer verteilender Student in der Fußgängerzone, eine auffällige Schriftart und so mancher Privatsender gemeinsam? Sie sind alle Teil eines Prozesses, den man vor allem in den USA als Barnumisierung (Barnumization) bezeichnen würde. Wer den Begriff im Online English Dictionary oder im Online Cambridge Dictionary nachschlagen möchte, wird allerdings enttäuscht. Denn obwohl in den USA jedes Kind diesen Begriff einordnen könnte, ist er dort weder vermerkt noch erklärt.
Vielleicht liegt es daran, dass der Begriff viel zu viele Dinge zusammenfasst. Heute gibt es dafür mehrere Ausdrücke, die seine unterschiedlichen Bedeutungen sauberer auf einen Punkt bringen. Moderne Ausdrücke wie Marketing, Sensationslust, Voyeurismus und Showbusiness zum Beispiel. Je nachdem, welche Meinung man zum Begründer dieses Wortes vertritt, würde der ein oder andere wohl auch noch Ausbeutung, Betrug, Narzissmus, Größenwahn und Raffgier in den Raum werfen.
Doch daran denkt man nicht, wenn man im neusten Hollywood-Musical-Blockbuster Greatest Showman den charmant lächelnden Charismatiker Hugh Jackman in der Rolle des P.T. Barnum durch die Kulissen tanzen sieht. Er spielt eine Figur, der das Publikum wirklich alles verzeihen würde. Der zweite Trailer des Films wirbt für die aufwendige Musical-Produktion mit den unschlagbar publikumswirksamen Worten „inspiriert von wahren Ereignissen”. Wer dem allerdings zu starken Glauben schenkt, der dürfte diese Behauptung so rasch in sich zusammenstürzen sehen wie das brennende Kuriositätenmuseum des Zirkusdirektors.
Hugh Jackman und die „Dynamisierung der Wahrheit”
„Ich habe für diesen Film gekämpft”, erklärt Hollywood-Schauspieler Hugh Jackman im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten. Der 49-Jährige stellte bereits in Les Misérables (2012) absolut überzeugende Musical-Qualitäten und Leidenschaft für das Genre unter Beweis. Verständlich, dass er sich - wie geboren für eine solche Hauptrolle - außerordentlich für dieses Projekt engagierte. Dabei betont Jackman, dass der Film kein musikalisches Biopic des polarisierenden Zirkusdirektors ist.
Dafür aber, wendet er ein, könne man von P.T. Barnum lernen, wie man eine gute Geschichte erzählt. Jackman wörtlich:
Manchmal muss man eben auch etwas hinzudichten, um die Zuschauer zu fesseln […] P.T. Barnum hätte wahrscheinlich gesagt, die Wahrheit darf einer guten Geschichte nie im Weg stehen. Wenn du wirklich unterhalten willst, musst du die Wahrheit dynamisieren.
Das Problem ist leider, dass Greatest Showman zwar mit einigen Aspekten glänzen kann, doch ganz sicher nicht mit einer guten Geschichte. Und daran, da sind sich viele Kritiker einig, ist vor allem die dynamisierte Wahrheit schuld.
P. T. Barnum: Werbe-König und Marketing-Pionier
Phineas Taylor Barnum machte sich während des 19. Jahrhunderts in den USA vor allem einem Namen mit der Erfindung des klassischen Showbusiness und seinem traditionsreichen Wanderzirkus Ringling Bros. and Barnum & Bailey Circus. Außerdem entwickelte er bis dato noch unbekannte Werbestrategien wie beispielsweise die ersten kunterbunten und reißerischen Zirkusplakate, die Passanten in ihren Bann zogen. Die Plakate wurden mit einer für damalige Verhältnisse auffälligen Schriftart versehen, die auch heute noch als Barnum-Font bekannt ist.
Sogar ein psychologischer Effekt, der Barnum-Effekt erinnert heute noch an den Ausnahme-Geschäftsmann. Den machen sich vor allem Wahrsager und Astrologen zu Nutze. Der Barnum-Effekt bezeichnet die Neigung des Menschen, allgemeine und breitgefächerte Aussagen auf sich selbst zu beziehen. Ähnlich auch die Strategien des aufstrebenden Entertainers, der mit seiner durchschlagenden Mainstream-Werbung die Massen ansprach wie seinerzeit kein Zweiter.
Barnum ließ erstmals Reklame an Pferdekutschen anbringen und durch die Straßen fahren - ein Werbemittel, das sich heute vor allem an Bussen und Taxis wiederfindet. Auch die klassische Fußgängerzonen-Promotion wurde durch P. T. Barnum professionalisiert. Gelegentlich stellte er sogar kleine Bühnen in die Straßen, auf denen seine Schausteller dem Publikum einen Vorgeschmack auf seine Show geben sollten.
In kleinen Broschüren und auf Flugblättern schürte er bei seinen potenziellen Besuchern mit mächtigen Worten und Superlativen den Hunger nach Unterhaltung, indem er seine Nummern und Darsteller anpries. Sogar eigene Illustratoren beschäftigte der Familienvater - damals ein reichlich verrückter Geschäftseinfall. „Barnum war der König der Werbung”, bestätigt Mary K. Witkowski, Direktorin des Bridgeport History Centers, das hunderte von seltenen Schriftstücken und Fotografien aus dem Leben des P.T. Barnum beherbergt.
Kathy Mayer, Kuratorin des Barnum Museums in Bridgeport, erklärte ebenfalls im Interview mit der CTPost:
Obwohl es Werbung und Promotion durchaus schon sehr viel früher gab, war es erst Barnum, der daraus eine Wissenschaft machte und beidem eine bis dahin ungesehenen und völlig neuen Stellenwert verpasste. Selbst heute noch werden seine Werbestrategien studiert. Ich bekomme ständig Anrufe zu diesem Thema.
„Die Öffentlichkeit ist ein sehr seltsames Tier”, soll der Showmaster einmal gesagt und hinzugefügt haben: „Und obwohl man es als guter Kenner der menschlichen Natur häufig schafft, seinen Geschmack zu treffen, ist es doch oftmals unbeständig und pervers.” Genau diese Erkenntnis machte sich Barnum, der in zahlreichen Quellen als knallharter Geschäftsmann beschrieben wird, zu Nutze.
Im Jahr 1841 übernahm er das American Museum in New York und gestaltete es zu einem Kuriositätenkabinett um. Damit wurde das Museum zu einer der größten Besucherattraktionen des 19. Jahrhunderts in den USA. Es wird geschätzt, dass etwa 38 Millionen Besucher in den 23 Jahren seiner Leitung dem Kabinett einen Besuch abstatteten. Nicht zuletzt gilt Barnum auch als Begründer der US-amerikanischen Freakshow.
Der größte Hochstapler seiner Zeit
Zu den Ausstellungsexponaten zählte alles, was exotisch oder kurios genug war, um dort einen Platz zu finden: Ob lebende oder ausgestopfte Tiere, ein Flohzirkus oder seltene Gegenstände, die Massen wollten sehen, was P.T. Barnum ihnen als Sensation verkaufte.
Dabei waren seine einträchtigsten Attraktionen oft nur gut inszenierte und präsentierte Fälschungen. Etwa seine sogenannte Fidschi-Meerjungfrau, für die Barnum Rumpf und Kopf eines Affen auf eine Fischflosse montieren ließ. Dazu ließ er einen seiner Angestellten als Wissenschaftler aus London auftreten, der die Echtheit des Exponates glaubwürdiger erscheinen lassen sollte. Die Besucher rannten Barnum die sprichwörtliche Bude ein.
Sein wohl größter Coup war allerdings ein ganz anderer: Er engagierte die fast blinde und körperlich eingeschränkte schwarze Sklavin Joice Heth. Die 80-Jährige stellte er seinem Publikum als das 161-jährige Kindermädchen von niemand geringerem als George Washington vor, dem ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
Gefälschte Papiere sollten das belegen. Zuvor hatte der Zirkusdirektor die alte Frau von einem anderen Showmaster für rund 1000 US-Dollar „ausgeborgt.” Die Frau erzählte glaubhaft Geschichten über den lieben kleinen Hosenscheißer George und sang Gute-Nacht-Lieder, mit denen sie ihn angeblich in den Schlaf gesungen haben wollte. Später sollte Barnum dazu schriftlich vermerken, dass ihr der Schwindel angeblich wahre Freude bereitet und sie sehr davon profitiert habe.
Chancen-Schaffer oder Ausbeuter?
Ein immenser Erfolg wurde für Barnum auch der damals vierjährige kleinwüchsige Charles Stratton, den er als den elfjährigen Zwerg General Tom Thumb aus Europa vermarktete. Im Film wird er von Schauspieler Sam Humphrey verkörpert. Er hat eine sogenannte Skelettdysplasie, die eine Entwicklungsstörung der Knochen nach sich zieht. Für ihn war das Projekt eine tolle Erfahrung, sagt er in einem Interview. Vor allem die Zusammenarbeit mit Hugh Jackman, einem seiner Lieblingsschauspieler, genoss er in vollen Zügen.
Dennoch dürstet es dem Zuschauer während des Interviews nach einer Frage, die dann leider doch nicht gestellt wird. Die Rede ist von einem gewaltigen Elefanten im Raum der Kritik - sowohl an Barnum selbst als auch am Musical: Auch heute noch wird P.T. Barnum vorgeworfen, er habe sich am Unglück anderer bereichert. Er habe Randgruppen und Außenseiter zum Opfer von grenzenlosem Voyeurismus gemacht, sie ausgenutzt und misshandelt. Verständlich, denn wer mit der Andersartigkeit ausgegrenzter Menschen Geld in die eigenen Kassen schwemmt, wird wohl niemand als Wohltäter beschreiben wollen.
Doch genau das macht die Hollywood-Verfilmung. In Greatest Showman werden die Zirkusangestellten mit ihren ungewöhnlichen Merkmalen scheinbar zu glamourösen Showstars. P. T. Barnum wird über weite Teile des Films als großzügiger Altruist porträtiert, dem sie ihren Ruhm verdanken. Er soll ihnen die Chance gegeben haben, aus ihrem Handicap Kapital zu schlagen, die Möglichkeit, selbst als Außenseiter das Beste aus ihrem Schicksal zu machen.
Fakt ist jedoch, das zahlreiche menschliche „Ausstellungsstücke” Barnums entweder an ihn verkauft oder vertraglich verliehen wurden, wie zum Beispiel der vierjährige Charles Stratton oder die Sklavin Joice Heth. Dass all seine Angestellten sich aus völlig freien Stücken entschieden, in seinem Programm aufzutreten, ist also ebenfalls eine Hollywood-Mär. Der Film romantisiert diese sogenannte Familie aus Menschen mit Handicaps stark - und mit ihr das düstere Kapitel der US-amerikanischen Freakshows. Kritiker merken an, der Film biedere sich viel zu stark mit plumpen Slogans wie im Titelsong This Is Me bei Randgruppen an. Die Realität habe damals deutlich anders ausgesehen.
Andererseits ist es durchaus denkbar, dass Barnums Programm so manchem Menschen ein selbstbestimmteres Leben ermöglichte. Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt des 19. Jahrhunderts dürften die ausgegrenzten Menschen wohl kaum gehabt haben. Viele wären körperlich nicht in der Lage gewesen, schwer zu arbeiten und hätten wahrscheinlich ihr Leben lang in ungewisser Abhängigkeit leben müssen. Dennoch würde wohl kein Historiker Barnums doppelmoralische Geschäftsphilosophie abstreiten. Die finanzielle Bereicherung und der persönliche Erfolg mit seinen einträchtigen Ideen stand für ihn stets an erster Stelle.
Dass Barnum kein Wohltäter war, deutet sogar die Musical-Verfilmung hin und wieder an. Zum Beispiel in der Szene, in der Barnum seine Freaks von den Feierlichkeiten nach Jenny Linds Auftritt eiskalt ausschließt. Doch ähnlich wie bei anderen Fehlern und Unzulänglichkeiten des Showmasters verzeihen ihm seine Mitmenschen diesen moralischen Fauxpas leichtfüßig tänzelnd und trällernd. Dabei würde man zumindest von der resoluten bärtigen Dame Lettie Lutz erwarten, dass sie ihren Chef zur Rede stellen würde. Doch das passte letztlich doch nicht ins zu weich gewaschene Drehbuch von Greatest Showman.
Greatest Showman verschweigt auch die sogenannten Minstrel Shows, bei denen Barnum ebenfalls als Veranstalter auftrat, um sein Publikum zu unterhalten. Bei diesen sketchartigen Unterhaltungsprogrammen bemalten sich Weiße die Gesichter mit schwarzer Farbe. Dann wurden vor allem Alltagssituationen von Sklaven nachgestellt, die hochgradig rassistische Botschaften beinhalteten.
Was Greatest Showman ebenfalls lieber verschweigt, ist der Umstand, dass Barnum stets versuchte, exotische Tiere aus aller Herren Länder für seinen Zirkus und sein Kabinett zu importieren. Dabei gingen zahlreiche Exoten, darunter vor allem Elefanten, während der wochen- oder monatelangen Überfahrten elendig zugrunde. Auch das unterschlägt der Film lieber zugunsten des Unterhaltungsfaktors.
Barnum und seine Frauen
Stattdessen dichtet das Filmmusical dem Zirkusdirektor lieber eine Affäre mit seiner Hauptdarstellerin Jenny Lind an. Die gab es tatsächlich und in der Tat reiste Barnum mit ihr auf einer Tour durchs Land. Eine Affäre wurde allerdings nie belegt und auch das Bild in der Zeitung, das den spontanen Kuss zwischen dem Showmaster und der schwedischen Sängerin zeigt, hat es in Wirklichkeit nie gegeben.
Wie zahlreiche Quellen berichten, sollen P. T. Barnum und seine Frau Charity Hallett Barnum eine innige und vertrauensvolle Ehe geführt haben. Im Alter von 21 Jahren heiratete die fromme Schneiderin den 19-Jährigen im Jahr 1829. Später vermerkte Barnum in einem Buch voller Erinnerungen:
Ich würde frühe Ehen niemals befürworten oder empfehlen. Doch obwohl ich kaum älter als 19 Jahre alt war als ich heiratete, war ich stets sicher, dass auch wenn ich noch zwanzig Jahre damit gewartet hätte, ich niemals eine andere Frau gefunden hätte, die so gut zu mir passt, die charakterlich, als Ehefrau, als Mutter und als Freundin so bewundernswert und wertvoll hätte sein können wie sie.
In einem anderen Schriftstück stellt Barnum schlicht fest, er habe an jenem Tag „eine der besten Frauen der Welt” geheiratet. Anders als im Film hatte das Paar damals nicht nur zwei, sondern vier gemeinsame Töchter. 44 Jahre lang waren sie verheiratet. Nach Charitys Tod jedoch gab Barnum nur wenig später Nancy Fish, der 25-jährigen Tochter eines Freundes, das Jawort.
Greatest Showman bei den Golden Globes
Mittlerweile wurde Greatest Showman für drei Golden Globes nominiert. In den Kategorien Bester Hauptdarsteller, Bester Film und Bester Filmsong (This Is Me) dürfen die Macher auf einen der begehrten Auszeichnungen hoffen. Für den besten Film dürfte es wohl aller Voraussicht nach nicht reichen - die Geschichte bleibt, selbst für das Musical-Genre, zu oberflächlich. Die Nominierung von Hugh Jackman war zu erwarten. Die Rolle, so wie Hollywood sie erfand, hätte passender nicht besetzt werden können. Der sympathische und charismatische Hauptdarsteller hilft dem Film über das schwache Drehbuch hinweg.
Der echte P.T. Barnum wäre von ihm und den durchaus bombastischen und mitreißenden Tanz- und Gesangsszenen sicherlich begeistert gewesen. Diese wurden vom australischen Werbefilmer Michael Gracey so publikumswirksam in Szene gesetzt, wie selbst Marketing-Experte Barnum es nicht besser hätte machen können.
Auf historische Wahrheiten, Fakten und Detailtreue kam es für die Macher des Mainstream-Musicals allerdings ganz und gar nicht an - weder bei seinen Figuren, seinen Kostümen noch seiner Handlung. Insofern müsste man hier schon beinahe wieder eingestehen, dass Greatest Showman durchaus authentisch in der Tradition seines historischen Vorbildes steht - dem selbsternannten König Humbug.