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Bird Box: Das Ende des Netflix-Hits erklärt
Ob man will oder nicht, an Bird Box kommt aktuell keiner vorbei. Der Netflix-Thriller bescherte dem Streaming-Dienst sogar einen neuen Rekord: Nach eigenen Angaben wurde die Romanadaption in den ersten sieben Tagen über 45 Millionen Mal gestreamt, was zuvor noch keinem anderen Netflix-Film gelang.
Sollten diese Zahlen stimmen, wird es in diesem Zeitraum zweifelsohne zahlreiche fragende Gesichter gegeben haben. Der Grund: Bird Box überlässt vieles der Fantasie und Interpretation des Zuschauers. QUADRATAUGE klärt deshalb die dringendsten Fragen zu dem Werk, seid also vor Spoilern gewarnt.
Die Handlung von Bird Box: Worum geht es in dem Netflix-Film?
Postapokalypse statt Postkartenromantik: Für die alleinstehende Künstlerin Malorie (Sandra Bullock) ist ihre Schwangerschaft eher eine Belastung als ein Segen. Da hilft es nicht gerade, dass unmittelbar nach einer Vorsorgeuntersuchung plötzlich das Chaos losbricht und Menschen aus unerfindlichen Gründen Massenselbstmord begehen. Auf diese Weise muss auch Malories Schwester (Sarah Paulson) wenig später dran glauben.
Schuld an dem tödlichen Dilemma sind übernatürliche Wesen, die in den Menschen einen Selbstmord-Impuls auslösen, sobald diese einen Blick auf die unheimliche Macht wagen. Zusammen mit einer kleinen Gruppe Überlebender verschanzt sich Malorie in einem Haus, wo sie zunächst sicher sind. Als die Vorräte jedoch knapp werden, ist der gefährliche Weg nach draußen unvermeidlich. Mit Augenbinden ausgestattet, brechen sie auf und das Unheil nimmt seinen Lauf…
Während die hier beschriebenen Szenen den Ursprung der Apokalypse zeigen, springt die Handlung parallel dazu fünf Jahre in die Zukunft und richtet den Fokus allein auf Malorie und ihre (mittlerweile geborenen) Kinder. Um eine mutmaßliche Zufluchtsstätte zu erreichen, müssen die drei eine waghalsige Flussfahrt überstehen - und das praktisch blind. Als Hilfe dienen ihnen drei Vögel als Warnsystem, da diese die Anwesenheit der Monster spüren.
Die Ähnlichkeit zu dem durch seine Geräuschkulisse Horror erzeugenden A Quiet Place und dem M. Night Shyamalan-Film The Happening sind kaum von der Hand zu weisen. Jedoch besitzt Bird Box durchaus eine eigene Identität, die sich irgendwo zwischen hochdramatischem Kataklysmus und einer Art extremer Outdoor-Version von Blinde Kuh einpendelt.
Sandra Bullock und Sarah Paulson zeigten übrigens schon in der Gangsterkomödie Ocean’s 8, dass sie vor der Kamera hervorragend harmonieren.
A Quiet Place ist in der Unitymedia-Videothek sowie bei Maxdome und Sky verfügbar. The Happening ist bei Maxdome verfügbar (Links zu Anzeigen).
Wer oder was sind die Monster in Bird Box?
Während des gesamten Films bekommen wir die mysteriösen Todbringer nicht zu Gesicht. Das ist in erster Linie natürlich frustrierend für uns Zuschauer, letztendlich aber einfach nur konsequent. So können wir uns zumindest ansatzweise in Malorie und Co. hineinversetzen, die ebenfalls keine Ahnung haben, vor was genau sie eigentlich davonrennen. Jegliche plastische Darstellung der Monster - auf welche Art auch immer - hätte wahrscheinlich nur die Erwartungen untertroffen und dementsprechend nach hinten losgehen können.
Die Monster: Biologische Kriegsführung, Geisterwesen oder psychologisches Phänomen?
Die Spekulationen, um was es sich bei der unsichtbaren Bedrohung handelt, sind vielfältig und werden von den Figuren selbst in den Raum geworfen. Während der ruppige Misanthrop Douglas (John Malkovich) die biologische Waffe eines politischen Feindes vermutet, sieht der Supermarkt-Angestellte Charlie (Lil Rel Howery) bereits das Ende der Welt kommen. Seiner Meinung nach haben sie es mit Dämonen oder Geistern zu tun, die sich bei Blickkontakt eines Menschen als dessen größte Ängste manifestieren.
Mit dieser Theorie könnte Charlie vermutlich auch recht haben. Ob es sich nun um Geister aus anderen Dimensionen oder Aliens von fremden Planeten handelt, die Angst-Hypothese leuchtet definitiv ein. Die verstörten Reaktionen der Betroffenen lässt diesen Schluss zumindest zu.
Wer es etwas komplexer mag: Es könnte sich in Bird Box auch um eine Massenhysterie handeln, die als Resonanz auf das aktuelle politische und gesellschaftliche Klima verstanden werden kann. Demnach könnte die Apokalypse nur in den Köpfen der Menschen stattfinden und zum kompletten Verlust des Verstandes - und damit des Lebens - führen. Wer dies für komplett abwegig hält, hat wohl noch nie von der Tanganjika-Lachepidemie im Jahr 1962 gehört…
Inszenatorisch folgt Regisseurin Susanne Bier aber dem Motto „Weniger ist mehr” und fährt damit brutal effektiv. Die Monster sind im Film nie mehr als ein bedrohlicher Schatten, ein Rascheln im Wald oder ein heimtückisches Flüstern. Lediglich als Zeichnungen des psychisch kranken Gary (Tom Hollander) nehmen sie für den Zuschauer Gestalt an. Die Gefahr, die von ihnen ausgeht, ist dennoch - oder gerade deshalb - jederzeit spürbar.
Was hat das Ende von Bird Box zu bedeuten?
Am Ende von Bird Box hat Malorie ihr Ziel erreicht. Sie und ihre beiden Kinder haben die Flussfahrt überlebt und sind an der Zufluchtsstätte angekommen. Diese entpuppt sich als Blindenschule, in der sowohl blinde als auch sehende Menschen leben. Die Gemeinschaft hat sich mit Hilfe eines Baldachins von den bösen Kräften abgeschottet. Eine Schar von Vögeln, zu der sich auch Malories gefiederte Begleiter gesellen, dient als natürliche Alarmanlage.
Endlich in Sicherheit, beginnt nun auch die bis dahin eher kühle Malorie vom Überlebens- in den Muttermodus zu schalten. Mit der Abnahme der Augenbinde fällt ebenso die harte Kämpferfassade und macht Platz für Emotionen. Die wohl bedeutsamste Szene des gesamten Films offenbart sich passenderweise an dieser Stelle: Die Kinder, die sie bisher schlicht Mädchen und Junge nannte, um sich emotional von ihnen zu distanzieren, erhalten endlich richtige Namen (Olympia und Tom) von ihr.
Demzufolge kann Bird Box vor allem als ein Film über Mutterschaft und Familie angesehen werden. Wir begleiten Malorie bei ihrer persönlichen Entwicklung von der absichtlich gefühlskalten Rationalistin zur fürsorglichen Mutter. Die von Hindernissen geprägte Flussfahrt dient hier als Metapher für diesen Reifeprozess. Das Freilassen der Vögel aus der Bird Box symbolisiert wiederum das Loslösen von alten Verhaltensmustern.
Die ursprünglichen Regeln haben sich ohnehin geändert. Blindheit wird zur Überlebensgarantie und lässt eine scheinbar „schwache” Minderheit zur bevorteilten Menschengruppe werden. So mutiert Bird Box am Ende - ähnlich wie der Netflix-Film Cargo - sogar zu einem Plädoyer für Menschlichkeit und feiert zugleich die Vielfalt: Niemand ist besser oder schlechter als der andere - schon gar nicht im Angesicht der Apokalypse.
Das Ende von Bird Box: So unterscheidet sich der Netflix-Film von der Romanvorlage
Zwar hält sich Bird Box zum Großteil an den gleichnamigen Roman von Josh Malerman, doch erlaubt sich der Film eine besonders entscheidende Veränderung. Im Gegensatz zur literarischen Vorlage schlägt der Netflix-Thriller nämlich am Ende einen deutlich hoffnungsvolleren und optimistischeren Ton an. Blinde und sehende Menschen bilden hier eine friedliche Gemeinschaft, die Malorie und ihren Kindern ein halbwegs normales Leben ermöglicht.
Auch im Roman findet die dreiköpfige Familie in der Blindenschule Zuflucht. Allerdings haben sich darin viele Bewohner selbst das Augenlicht genommen, um in der neuen Welt überleben zu können. Ein Schicksal, das möglicherweise auch Malorie, Tom und Olympia blüht.
Bird Box-Drehbuchautor Eric Heisserer erklärte, wieso er dieses düstere Detail am Ende aussparte:
Es erschien uns cleverer, ein optimistischeres Ende zu finden. […] Ich bin niemand, der Nihilismus begrüßt in Anbetracht der Welt, in der wir jetzt leben.
Ob man dieses „Happy End” von Bird Box nun mag oder nicht, im Genre der Endzeitfilme stellt es mit Sicherheit eine willkommene Abwechslung dar.