Streaming
Seriencheck | The Witcher: Netflix-Serie so gut wie Buch und Spiel?
The Witcher startet endlich bei Netflix und zeigt uns eine düster-mittelalterliche Welt voller Gewalt, Intrigen und Rassismus. Doch springt der Funke aus der beliebten Buchvorlage genauso über wie bei den gleichnamigen, gefeierten Videospielen? Erfahrt in unserem Seriencheck, was The Witcher neben garstigen Monstern und dem coolen Helden alles zu bieten hat – und was euch an der Serie abschrecken könnte.
Die Welt des polnischen The Witcher-Autoren Andrzej Sapkowski ist grausam: Zerstrittene Fürstentümer und Königreiche, Krieg, gesellschaftliche Unruhen und die allzeit drohende Gefahr, von einem blutrünstigen Monster oder übernatürlichen Wesen in Stücke gerissen zu werden. Mittendrin unser grimmiger Held: der Hexer Geralt von Riva.
Die Mischung aus mittelalterlicher Fantasy, slawischen Mythen und sowohl satirischen als auch sexuellen Zwischentönen traf schon in Buchform einen Nerv. Ein Effekt, der durch die enorm populäre und preisgekrönte Videospielumsetzung als die The Witcher-Trilogie auf eine globale Skala gehoben wurde.
Die nächste Station dieser Erfolgsgeschichte ist nun also die Serien-Adaption von Netflix. Mit Superman-Star Henry Cavill in der Titelrolle erstklassig besetzt macht sich The Witcher daran, die Fantasy-Serienlandschaft nach Game of Thrones aufzumischen. Doch hat die Serie überhaupt das Zeug dazu?
Die Handlung von The Witcher
Geralt von Riva (Henry Cavill) war noch ein Kind, als er von seinen Eltern getrennt und durch ein Ritual zu einem sogenannten Hexer gemacht wurde. Bei den Hexern handelt es sich um durch Mutationen verbesserte Kämpfer und Jäger, die gegen Geld ihre übermenschlichen Kräfte nutzen, um für Dörfer und Könige lästige Monster zu beseitigen.
Doch ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten machen die Hexer auch zu gesellschaftlichen Außenseitern. Ihre Hilfe wird gern angenommen, ansonsten werden sie jedoch gemieden, verachtet und allzu oft nach getaner Arbeit verjagt. So zieht auch Geralt von Dorf zu Dorf, kämpft für seinen Lebensunterhalt und gerät immer wieder in brenzlige Situationen.
Auf einer seiner Reisen wird Geralts Schicksal für immer mit dem der jungen Prinzessin Cirilla aus Cintra (Freya Allan) verbunden. Doch welche Tragweite dieses Ereignis auf das Leben der beiden hat, wird erst klar, als das Königreich vom feindlichen Nilfgaard angegriffen wird.
Doch Geralt muss sich bald nicht nur fragen, welche Rolle er in dieser Welt spielen will. Auch die mächtige Magierin Yennefer (Anya Chalota) gibt ihm so einige Rätsel auf.
Darum solltest du The Witcher sehen:
Henry Cavill: Ein starker Hexer Geralt
Die Besetzung von Herny Cavill für die Hauptrolle sorgte – wie übrigens fast alle Casting-Entscheidungen der Serie – vor allem unter Fans der Videospiele für einige Diskussionen. Den einen sah er zu muskulös, den anderen zu gut, den wieder anderen schlichtweg nicht überzeugend genug mit den Geralt-typischen, langen weißen Haaren aus.
Wer die Serie aber nun gesehen hat, wird nicht umhin kommen, zuzugeben: Cavill ist ein verdammt guter und auch authentischer Geralt von Riva.
Zwar orientiert sich The Witcher vor allem an den Büchern, doch auch Videospielfans werden in dem Serienhexer genau den rauen Charme, die selbstbewusste Körperlichkeit und den trockenen Humor erkennen, für die sie Geralt kennen und lieben.
Der Mensch: Das wahre Monster?
Der „weiße Wolf” hat in The Witcher schon einiges erlebt, was nicht nur die zahlreichen Narben auf seinem gestählten Körper verdeutlichen. Seine Erfahrungen haben ihn Vorsicht gelehrt, vor allem gegenüber Menschen, denen er meist äußerst reserviert gegenübertritt. Und das zu Recht.
Denn die meisten Menschen dieser Welt werden von Eitelkeit, Selbstsucht, Hass und Angst vor dem Andersartigen beherrscht. Lügen und Halbwahrheiten regieren die Welt und meist sind die Aufträge von Geralt am Ende nicht das, was sie zu sein scheinen.
Das stellt Geralt oftmals ungewollt vor vollendete Tatsachen und zwingt ihn zu Handlungen, mit denen er eigentlich moralisch gar nicht einverstanden ist. Ob ein Zauberer, der sich vor einer rachsüchtigen Banditin fürchtet, oder ein König, dessen Untertanen von einer sogenannten Striege heimgesucht werden: In vielen Fällen stellt sich der Mensch als das wahre Monster heraus.
Die The Witcher-Serie thematisiert so – wie schon die Buchvorlage und auch die Videospiele – gesellschaftliche Probleme wie Rassismus, Diskriminierung, Klassenunterschiede und Vorurteile. Gleichzeitig wird auch verdeutlicht, wohin ein schlichtes Schwarz-Weiß-Denken führt und was passiert, wenn man nicht bereit ist, Dinge zu hinterfragen.
Parallele Handlungsstränge in The Witcher
Die unterschiedlichen Ebenen der The Witcher-Welt werden auch durch die parallelen Handlungsstränge aufgezeigt. Während wir Geralt von Anfang an auf seinen Reisen begleiten und mit ihm mehr oder minder kleine, abgeschlossene Abenteuer erleben, führen uns Yennefer und Ciri auf das große Parkett der Magie und Königreiche.
Dass die (vermeintliche) Parallelität der Erzählung hier auch mit einigen Überraschungen aufwartet, ist ein interessanter Kniff und eine willkommene Abwechslung im sonst doch recht wenig experimentierfreudigen Mittelalter-Fantasy-Genre.
Anya Chalotra als Yennefer: Gegen die Gesellschaft
Im Fall von Yennefer bekommen wir gleich die ganze Härte der Gesellschaft zu spüren. Dank ihrer körperlichen Behinderung hat sie nämlich nicht viel zu lachen und wird schlussendlich von ihrem Vater – wohlbemerkt für nicht mal den halben Preis eines Schweins – an eine Magierin verkauft.
Dies offenbart sich jedoch als Wendepunkt in ihrem Leben, denn Magier haben in The Witcher vor allem politische Macht und werden von ihrem hohen Rat strategisch an den Königshöfen als Berater eingesetzt. Zum Glück hat also auch Yennefer magische Begabungen.
Ihr Weg von der Bauerntochter zur mächtigen Magierin und Femme Fatale bildet einen spannenden Erzählstrang, denn diese Wandlung hat einen hohen (auch menschlichen) Preis und wirft neue Konfliktpunkte mit der Gesellschaft auf. Etwas, was die Schauspielerin Anya Chalotra (Wanderlust) auch überzeugend zu vermitteln vermag.
Freya Allan: Ciri im Zentrum des Schicksals
Am Königshof von Cintra lernen wir unterdessen Prinzessin Cirilla kennen, die den meisten Fans vor allem als Ciri bekannt ist. Seit dem Tod ihrer Eltern wuchs sie unter der Fürsorge ihrer mächtigen Großmutter Königin Calanthe auf, die von Jodhi May (Let me go) stark und leicht verschroben dargestellt wird.
Die Umstände von Ciris Geburt, ihre Bestimmung und die Bedeutung ihrer Verbindung zu Geralt nehmen im Laufe der Handlung zunehmend das Zentrum der Geschichte ein.
Gespielt wird sie von der jungen Freya Allan, die bislang erst in kleineren Rollen in der Serienverfilmung des Sci-Fi-Klassikers Krieg der Welten und in Into the Badlands zu sehen war. Sie verleiht Ciri eine stimmige und glaubwürdige Mischung aus Verletzlichkeit, Mut, Naivität und Eigenwilligkeit, die sehr gut zu ihrer Rolle passt.
Blutige Gewalt und rasante Action in The Witcher
Die Inszenierung der Action lässt nichts zu wünschen übrig. Hervorragend choreographiert und mit dynamisch zwischen den Kämpfern umherschwebender Kamera werden wuchtig-brutale und doch elegante Bilder auf den Bildschirm geworfen.
Dabei wissen nicht nur knallharte Straßenkämpfe zu überzeugen, auch die Massenschlachten zwischen gewaltigen Heeren können sich sehen lassen. In beiden Fällen ist der Gewaltgrad enorm hoch. Gliedmassen werden abgetrennt, Schädel detailliert mit Äxten gespalten und markerschütternde Schmerzensschreie gellen zwischen emporspritzenden Blutfontänen.
Kämpfen im Mittelalter ist ein grausames Handwerk - daran lässt The Witcher keinen Zweifel.
Gründe, die Finger davon zu lassen …
Schwächen im Witcherland
So düster, dreckig und garstig-authentisch die Kämpfe, Rüstungen und die Welt an sich wirken, gibt es doch immer wieder Punkte, an denen die Authentizität schwächelt. Ausgerechnet in einigen Tavernenszenen kann man sich des Gedankens nicht erwehren, dass die Kleidung der Menschen etwas zu sauber, die Atmosphäre einfach nicht komplett glaubwürdig ist.
Auch die Auseinandersetzungen gegen die solide animierten Monster sind ordentlich geraten, wobei man hier jedoch vom Eindruck einer schwankenden Effektqualität manchmal nicht ganz loskommt.
Hürden für The Witcher-Neulinge
Gerade bei Neueinsteigern in die Welt von The Witcher dürften zu Beginn einige Fragezeichen auftauchen. Was hat es mit dem Reich Nilfgaard auf sich? Welche Bedeutung hat die Festung Kaer Morhen? Und sind die Hexer nun einfach nur ein Sammelbegriff für Mutanten oder doch eine feste Gruppierung oder gar ein Orden?
Für Fans der Bücher und der Videospiele sind solche Fragen schnell geklärt. Doch wenn man sich zuvor noch gar nicht mit The Witcher auseinandergesetzt hat, werden in der Serie oftmals wenige Erklärungen geboten.
Das mag einen unvoreingenommen Zuschauer vielleicht nicht stören (geschweige denn ihm auffallen), kann aber auch verwirren und im Zweifelsfall der Atmosphäre schaden.
Überhastete Figurenentwicklung in The Witcher
Während die Entwicklung von Geralt und Ciri gerade in den ersten fünf Folgen nachvollziehbar ist und genügend Raum bekommt, wirkt der Storystrang von Yenneffer im gleichen Zeitraum geradezu gehetzt und überhastet.
Das ist zum Teil natürlich der zuvor erwähnten, speziellen Erzählstruktur geschuldet, zu der wir hier nicht zu viel verraten wollen. Dennoch erscheint Yenneffers Figurenentwicklung auf diese Weise nicht immer verständlich und enthält zu große Sprünge und Leerstellen in der Veränderung ihres Verhaltens und Charakters.
Das ist besonders schade, weil ihre Figur viel Potential bietet und ihre Wandlung zur selbstbewussten und ehrgeizigen Magierin wirklich spannend ist.
The Witcher: Zu viel Sex?
Auch der häufige Sex und viel Nacktheit in The Witcher könnte den einen oder anderen Zuschauer abschrecken. Die schiere Schlagzahl an Brüsten, Sex- und Orgienszenen würde selbst den ersten beiden Staffeln von Game of Thrones die Schamesröte ins Gesicht treiben.
Wem das Lied von Eis und Feuer also in dieser Hinsicht schon zu viel war, dürfte mit The Witcher so seine Probleme haben. Wer jedoch das Ursprungsmaterial der Bücher und auch die Videospiele kennt, der weiß, dass sich die Netflix-Serie hier voll und ganz an seine Vorlage hält.
Sex und Frivolitäten gehören zu The Witcher einfach genauso dazu, wie Monster, Schlachten und skrupellose Regenten.
Fazit: Binge oder Blödsinn?
The Witcher hat sich seinen Stand als eine der besten Serien 2019 bei Netflix definitiv verdient.
Von den wuchtig inszenierten Kämpfen über die raue und düstere Welt bis hin zu der Ansprache verschiedener gesellschaftskritischer Themen, die hier im Fantasy-Setting eine ganz eigene Wirkung entfalten: Man merkt der Serie die dahintersteckende Mühe an, der Vorlage gerecht zu werden.
Henry Cavill macht als Hexer Geralt eine gute Figur und auch die weiteren Schauspieler wissen zu überzeugen. Nach dieser 1. Staffel kann man auf jeden Fall gespannt sein, wie sich die packende Geschichte weiterentwickelt und was das Schicksal für Geralt, Ciri und Yennefer in Staffel 2 bereithält.
Trotz einiger Schwächen und Einstiegshürden für Neulinge des The Witcher-Kosmos nicht nur für Fans einen Blick wert.