Timothée Chalamet in The King
© Netflix
Bild aus Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim
Plakat zum Musical-Film Wicked

The King: Die Kritik zum Netflix-Historienepos

Ein Hauch von Shake­speare weht durch das Net­flix-Pro­gramm: The King lautet der so schlichte wie pom­pöse Titel des neuen Films vom Stream­ing-Gigan­ten, der eigentlich eine größere Lein­wand ver­di­ent hätte. Warum sich das His­to­rien­dra­ma aber den­noch lohnt, erfährst du in unser­er Kritik.

Eng­land, im frühen 15. Jahrhun­dert: Ein junger Mann in Rüs­tung stapft humpel­nd und erschöpft über ein Schlacht­feld, das von toten Män­nern über­sät ist. In seinem Gesicht spiegelt sich Über­druss und Verzwei­flung, als er einem ster­ben­den Feind den let­zten Todesstoß verpasst.

Schon die Anfangsszene von The King gibt die Stim­mungsrich­tung vor, die in den fol­gen­den 140 Minuten den Kern des Films bes­tim­men wird. Düster­n­is und Schw­er­mut lauern hier in jed­er Ecke des Dra­mas, das somit den Ton von William Shake­spear­es Vor­lage Hein­rich V. beibehält.

Das Stück von 1599 diente Regis­seur David Michôd als Inspi­ra­tion für The King, seine zweite Zusam­me­nar­beit mit Net­flix nach War Machine. Er und sein Co-Autor Joel Edger­ton (eben­falls in der Rolle des Fal­staff zu sehen) ver­mis­cht­en Teile des Orig­i­nals mit his­torischen Fak­ten und zauberten daraus ein epis­ches Dra­ma voller Wucht und Inten­sität.

Achtung, es fol­gen Spoil­er zum Film!

Timothée Chalamet in The King

Uner­fahren, aber entschlossen: König Hein­rich V. (Tim­o­th­ée Cha­la­met) | © Netflix

The King bei Netflix: Die Handlung des Films

Der englis­che Prinz Hal (Tim­o­th­ée Cha­la­met) ist nicht ger­ade der typ­is­che Thron­fol­ger. Er ist vielmehr an Saufge­la­gen und schö­nen Frauen als am royalen Leben bei Hofe inter­essiert. Umso über­raschter ist er, als er nach dem Tod seines Vaters, König Hein­rich IV. (Ben Mendel­sohn), dessen Kro­ne übernehmen soll.

Fest entschlossen, alles anders als sein despo­tis­ch­er Vater zu machen und dem englis­chen Reich den langersehn­ten Frieden zu brin­gen, sieht sich der junge König - nun Hein­rich V. genan­nt - bald gezwun­gen, einen Krieg gegen Frankre­ich zu führen. Dieser Umstand und der Druck, der nun auf sein­er Per­son lastet, verän­dern ihn zunehmend und lassen ihn seine ursprünglichen Ide­ale verraten.

Umringt von zahlre­ichen Beratern, die jew­eils ihre eigene Agen­da ver­fol­gen, muss der frisch gekürte Regent fol­gen­re­iche Entschei­dun­gen tre­f­fen, die so rein gar nichts mit Frieden zu tun haben. Als besonnen­er Ruhe­p­ol und leib­haftige Erin­nerung an alte Tugen­den fungiert da zum Glück sein treuer Fre­und Fal­staff, den Hal zum Feld­marschall ernennt.

Joel Edgerton in The King

Fal­staff (Joel Edger­ton) ist der loyale Begleit­er von Hal | © Netflix

Die Kritik zu The King mit Timothée Chalamet und Robert Pattinson

Coming of Age-Geschichte im Mittelalter

Wer David Michôds bish­erige Filme gese­hen hat, wird auch in The King zweifel­los seine Hand­schrift erken­nen. Mit fast schon med­i­ta­tiv­er Gelassen­heit erzählt er die Geschichte seines Pro­tag­o­nis­ten und weckt dabei vor allem Erin­nerun­gen an sein Spielfilmde­büt Kön­i­gre­ich des Ver­brechens.

Schon bei dem Kri­mi-Dra­ma von 2010 han­delte es sich um eine Art Com­ing of Age-Sto­ry in einem men­schen­feindlichen Milieu, in dem die Fam­i­lie eine Bürde darstellt. Um dieser Welt die Stirn bieten zu kön­nen, scheinen Ver­ro­hung und Gewalt die einzi­gen pro­bat­en Mit­tel zu sein. Ein nihilis­tis­ches Motiv, dem Michôd in The King immer­hin ein Fünkchen Hoff­nung entgegenstellt.

Übri­gens: Die 10 besten Com­ing of Age-Filme- und Serien find­est du hier.

Falsche Akzente und poetische Feuergeschosse

So keimen in dem dreck­i­gen Morast voller Ver­rat und Blut gele­gentlich auch humoris­tis­che Momente auf, für die vor allem Joel Edger­ton als Fal­staff und Robert Pat­tin­son als franzö­sis­ch­er Dauphin Louis ver­ant­wortlich sind. Während Fal­staffs brum­melige Kom­mentare tat­säch­lich für ein Schmun­zeln sor­gen, mutet Pat­tin­sons Fig­ur aber eher wie eine bil­lige Karikatur an.

Robert Pattinson in The King

Fieser Fran­zose: Der Dauphin (Robert Pat­tin­son) verspot­tet König Hein­rich V. | © Netflix

Zwar hat Pat­tin­son sichtlich Spaß an seinem falschen franzö­sis­chen Akzent und der ekel­haften Arro­ganz seines Charak­ters, doch würde dieser eher als Schurke in einen Taran­ti­no-Film passen. Hier wirkt er allerd­ings fehl am Platz. Dabei hat The King diese Art von Überze­ich­nung gar nicht nötig, denn der Film bewegt sich son­st auf aller­höch­stem Niveau.

Michôd holte sich für sein His­to­rienepos näm­lich eine ganze Schar von fähi­gen Leuten ins Boot, ange­fan­gen bei Kam­era­mann Adam Arka­paw, der u. a. für seine atem­ber­aubende Planse­quenz in der 1. Staffel von True Detec­tive bekan­nt wurde. Auch in The King leis­tet Arka­paw wieder ganze Arbeit und fängt das Geschehen in grandiosen Bildern ein.

Wenn etwa bei der Belagerung der franzö­sis­chen Fes­tung bren­nende Geschosse per Kat­a­pult durch den Nachthim­mel geschleud­ert wer­den, wohnt diesem Moment der Zer­störung auch etwas Poet­is­ches inne. Michôd und Arka­paw schaf­fen viele solch­er fes­sel­nden Augen­blicke, die Ruhe und Chaos auf ästhetis­che Weise vere­inen.

Daher ist es auch ger­adezu Ver­schwen­dung, dass diese visuelle Wucht nur begren­zt im Groß­for­mat kon­sum­iert wer­den kon­nte. The King lief lediglich in aus­gewählten Kinos. Dabei schreien dessen epis­che Bilder förm­lich nach der großen Lein­wand, um sich dort in aller Schön­heit ent­fal­ten zu können.

Du kannst von Geschicht­en aus dem Mit­te­lal­ter nicht genug bekom­men? Dann sei dir beispiel­sweise die Serie The Last King­dom ans Herz gelegt, zu deren 3. Staffel wir alle Infos parat haben.

Timothée Chalamet in The King

Wird der König sein Heer zum Sieg über Frankre­ich führen? | © Netflix

Gänsehaut dank Starbesetzung und meisterhafter Musik

Unter­malt wer­den die tollen Kam­er­aauf­nah­men von der kon­ge­nialen Film­musik von Nicholas Britell (Moon­light). Unauf­dringlich und den­noch für das Genre angemessen pathetisch, fügen sich die wun­der­schö­nen Kom­po­si­tio­nen in das Gesamt­bild von The King ein. So stellen sich bei der Ankun­ft der englis­chen Kriegs­flotte in Frankre­ich mit dem ersten Ton automa­tisch die Nack­en­haare auf.

All das wäre ver­mut­lich nur halb so viel wert, wenn nicht auch vor der Kam­era jede Bewe­gung sitzen würde. Die Schaus­piel­er um Haupt­darsteller Tim­o­th­ée Cha­la­met (Call Me by Your Name) verkör­pern ihre Rollen mit Verve. Dem Jungstar zum Beispiel gelingt es bravourös, den Film auf seinen Schul­tern zu tragen.

Zwar wirkt der Wan­del sein­er Fig­ur vom trieb­haften Trunk­en­bold zum pflicht­be­wussten Herrsch­er etwas über­hastet und nicht durch­weg glaub­würdig, doch Cha­la­met spielt zurück­hal­tend und nuanciert genug, dass diese Uneben­heit im Drehbuch nicht weit­er unan­genehm auffällt.

Timothée Chalamet in The King

In The King muss sich der neue König gegen innere und äußere Feinde behaupten | © Netflix

Flankiert wird er dabei von exzel­len­ten Neben­darstellern wie dem bere­its erwäh­n­ten Joel Edger­ton (Lov­ing), Sean Har­ris (Mis­sion: Impos­si­ble – Fall­out) und Ben Mendel­sohn (Rogue One: A Star Wars Sto­ry). Zu gerne würde man mehr von diesen drei Mimen sehen, doch konzen­tri­ert sich The King fast auss­chließlich auf seine - zugegeben­er­maßen faszinierende - Titelfigur.

The King: Die Shakespeare-Variante von Game of Thrones?

So ist David Michôds Film vor allem ein Charak­ter­dra­ma in his­torischem Gewand, das beson­ders in der imposan­ten Schlacht­en­szene an Game of Thrones erin­nert. Unweiger­lich hat man hier Jon Snow vor Augen, der in der „Schlacht der Bas­tarde” unter zahlre­ichen Kriegern und Ton­nen von Schlamm fast begraben wird.

Ein Bild, das auch Michôd für Hal und Fal­staff während der the­ma­tisierten Schlacht von Azin­court nutzt, um das buch­stäbliche Chaos während des Kampfes zu verdeut­lichen. Es ist ein Moment, der beina­he wie eine Erlö­sung wirkt von all der unter­drück­ten Anspan­nung, die sich im Laufe des Films bei König Hein­rich V. sowie dem Zuschauer ange­sam­melt hat.

Timothée Chalamet in The King

König Hein­rich V. - ein tragis­ch­er Held | © Netflix

Doch kaum ist das Schlacht­feld wieder ver­lassen, schraubt der aus­tralis­che Regis­seur dieses Ven­til wieder zu, um sich ganz den Tra­di­tio­nen ein­er Shakespeare’schen Tragödie hinzugeben. Obwohl Frankre­ich besiegt ist und Hal sich als würdi­ger König und Heer­führer bewährt hat, muss der Opti­mis­mus im Schlamm zurückbleiben.

Welch­er Tri­umph kann schon genossen wer­den, wenn im näch­sten Moment bere­its ein weit­er­er Ver­rat ent­larvt wer­den muss? The King ist dem­nach auch eine Bal­lade über einen tragis­chen Helden, dessen höhere Bes­tim­mung zugle­ich ein Fluch ist.

Oder um es sin­ngemäß mit den Worten seines Vaters zu Beginn des Films auszu­drück­en: Das Huhn mag zwar frei sein, aber die Füchse sind es auch.

Apro­pos Game of Thrones: In unserem Quiz erfährst du, ob du inner­halb der Serie über­leben würdest.

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