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Enola Holmes bei Netflix: Die Kritik zum Sherlock-Spinoff
„Enola Holmes“ mit „Stranger Things“-Star Millie Bobby Brown startet am 23. September bei Netflix und erzählt die Geschichte der kleinen Schwester von Kult-Detektiv Sherlock Holmes. Ob die Buchadaption gelingt, liest Du in unserer Kritik.
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Was haben der Weihnachtsmann, Gott, Dracula und Sherlock Holmes gemeinsam? Sie alle gehören zu den am häufigsten porträtierten Charakteren in Film und Fernsehen. Letzterer schaffte es 2012 sogar ins Guinness-Buch der Rekorde mit bis dahin 254 Auftritten vor der Kamera.
Seit der Erschaffung des Sherlock Holmes im Jahr 1887 durch Sir Arthur Conan Doyle gaben Hollywoodgrößen wie Sir Christopher Lee („Der Herr der Ringe: Die zwei Türme“), Charlton Heston („Planet der Affen“), Roger Moore („James Bond 007 – Der Spion, der mich liebte“), John Cleese („Ein Fisch namens Wanda“), Robert Downey Jr. („Avengers: Endgame“) und Benedict Cumberbatch („Avengers: Infinity War“) dem eigenwilligen Ermittler ein Gesicht.
Hier gibt es die besten Sherlock-Holmes-Filme und -Serien in der ultimativen Übersicht.
Verletzt Enola Holmes das Urheberrecht?
Der Kult um Sherlock Holmes inspirierte zahlreiche Fortsetzungen und Ergänzungen des zugrundeliegenden Werkes von Autor Doyle. So bildete sich über die Jahre ein wahres Sherlock-Universum mit unzähligen eigenständigen Erzählungen. Dazu zählt auch die zwischen 2006 und 2010 veröffentlichte Jugendromanreihe „Enola Holmes“ von Nancy Springer, die sechs Bände umfasst. 2019 erwarben Legendary Pictures und Warner Brothers die Rechte für eine Kinoadapation. Angesichts der Corona-Krise sahen die Filmstudios aber von einem Kino-Release ab und verkauften die Vertriebsrechte an Netflix. Dort startet der Abenteuerfilm am 23. September.
Allerdings gab es bereits Monate vor der Veröffentlichung rechtliche Probleme für Netflix. Denn das Unternehmen The Conan Doyle Estate, das das Vermächtnis des Holmes-Erfinders verwaltet, verklagte Netflix wegen Urheberrechtsverletzung in „Enola Holmes”. Der Vorwurf: Sherlock Holmes werde im Film als emotionale Person dargestellt, was nicht der literarischen Vorlage entspreche und somit nicht unter die Gemeinfreiheit falle. Holmes sei demnach nur in den zwischen 1923 und 1927 veröffentlichten Geschichten als emotional beschrieben worden. Allerdings würden die Rechte an diesen Büchern (und somit auch die besagte Darstellung des berühmten Detektivs) noch The Conan Doyle Estate gehören. Der Fall liegt nun bei den Gerichten.
„Enola Holmes“ basiert auf der Handlung von „Der Fall des verschwundenen Lords“, dem ersten Band der Jugendbuchreihe. Harry Bradbeer („Fleabag“, „Killing Eve“) setzte die Vorlage als Regisseur in Szene. Für das Drehbuch zeichnete Jack Thorne („His Dark Materials“) verantwortlich.
Enola Holmes bei Netflix: Die Handlung
Kurz vor dem 16. Geburtstag ihrer Tochter Enola (Millie Bobby Brown) verschwindet Eudoria Holmes (Helena Bonham Carter) spurlos aus ihrem pompösen Anwesen. Was sie dazu veranlasst hat, bleibt im Unklaren. Enola soll auf Geheiß ihres Bruders Mycroft (Sam Claflin) in ein Mädcheninternat gesteckt werden. Das gefällt ihrem Lieblingsbruder Sherlock (Henry Cavill) zwar nicht wirklich – Position bezieht der erfolgreiche Detektiv aber lieber nicht.
Kurz vor ihrer Abreise ins Internat kommt Enola dem Geheimnis um das plötzliche Verschwinden ihrer Mutter auf die Schliche. Eudoria hatte ihrer Tochter zuvor zahlreiche im Anwesen platzierte Rätsel hinterlassen. Kurzerhand flieht Enola vor ihren Brüdern und rettet auf ihrer Reise den jungen Lord Viscount Tewksbury (Louis Partridge) vor einem mysteriösen Angreifer (Burn Gorman).
Doch die Wege der beiden Teenager trennen sich bald unter widrigen Umständen. Enola muss nicht nur das Verschwinden ihrer Mutter aufklären, sondern nun auch noch auch Lord Viscount wiederfinden und sich dabei vor ihren Brüdern verstecken. Ein detektivisches Katz-und-Maus-Spiel beginnt.
Die Tops: Millie Bobby Brown in einem visuellen Film-Feuerwerk
Wie es sich für einen hochwertigen Film mit einem Setting gegen Ende des 18. beziehungsweise Anfang des 19. Jahrhundert gehört, bietet „Enola Holmes“ gigantischen Detailreichtum und farbenfrohe Einstellungen. Egal, ob im überfüllten London oder auf dem idyllischen Land: Die Szenerie wirkt stimmig und detailverliebt. Hier und da ist ein wenig CGI-Unterstützung zu erkennen. Die stört den positiven Gesamteindruck aber überhaupt nicht.
Auch die zahlreichen Actionszenen sind rasant inszeniert und gehören zu den spannungsreichsten Höhepunkten von „Enola Holmes“. Generell besticht der Netflix-Film mit einem hohen Produktionswert. Nichts wirkt billig, insbesondere die Kostüme sehen eindrucksvoll aus.
Ein hohes Niveau legen auch die Darsteller an den Tag. „Stranger Things“-Superstar Millie Bobby Brown trägt „Enola Holmes“ als selbstbewusste und emanzipierte Protagonistin. In der kultigen Netflix-Mysteryserie glänzte die 16-Jährige als übernatürlich begabte Eleven. Im Sherlock Holmes-Spin-off zeigt Brown ihre lockere Seite, durchbricht die vierte Wand und spricht den Zuschauer direkt an, verdreht genervt die Augen und hat immer ein Lächeln auf den Lippen – ein Stilmittel, auf welches Regisseur Bradbeer schon in „Fleabag“ häufig zurückgriff.
Henry Cavill: Der unspektakulärste Sherlock aller Zeiten?
Henry Cavill („Man of Steel“) und Sam Claflin („Ein ganzes halbes Jahr“) machen als Sherlock und Mycroft eine solide Figur, sind aber nur Randgeschichten im Plot von „Enola Holmes“. Cavill darf zumindest das ein oder andere Mal seine charmante Art durchscheinen lassen, während Claflin seinen Protagonisten relativ eindimensional, aber mit einer gewissen Komik verkörpert. Dass Helena Bonham Carter („Fight Club“) in ihren wenigen Szenen absolut überzeugt, ist wohl kaum eine Erwähnung wert, auch wenn die Schauspielveteranin durch das Drehbuch recht blass bleibt.
Bleiben noch Louis Partridge („Paddington 2“), Burn Gorman („Game of Thrones“, „The Expanse“) und Fiona Shaw („Harry Potter und der Gefangene von Askaban“) als bekannteste Namen im Cast. Gorman tritt als Bösewicht auf und verkörpert seine Paraderolle in gewohnter Manier. Shaw mimt die verklemmte Internatschefin recht klischeehaft, aber solide. Partridge gibt sich alle Mühe, verblasst aber deutlich im Schatten von Brown, die ihren männlichen Kollegen ohne Probleme an die Wand spielt. Mehr als ein trauriger Blick oder ein süffisantes Lächeln bleiben von Partridge nicht in Erinnerung – abgesehen von seiner durchaus beeindruckenden Haarpracht.
Die Flops: Zu viel Handlung im Sherlock-Spin-off
Knapp über zwei Stunden beträgt die Laufzeit von „Enola Holmes“. In dieses Fenster pressen Regisseur Bradbeer und Autor Thorne einige Handlungsstränge zu viel und verzetteln sich dabei leider ziemlich deutlich.
So steckt hinter dem Verschwinden von Eudoria ein gesellschaftspolitisches Motiv, während die Suche nach Viscount eine familiäre Verschwörung aufdeckt. Jugendliche Gefühle zwischen dem jungen Lord und Enola gehören ebenso zum Plot wie die schwierige Beziehung der Teenagerin zu ihren Brüdern und das allumfassende Thema der Gleichberechtigung von Frauen. Eine Internatsszene mit Ausbruchsversuch musste ebenfalls noch untergebracht werden, ganz zu schweigen von den wenig fordernden Rätseln, die Enola eher nebenbei löst und die wenig Platz für eigene Lösungsversuche der Zuschauer lassen.
Durch die verschiedenen Plotpoints entwickelt „Enola Holmes“ letztendlich eine diffuse Tonalität, die die Frage aufwirft, an wen sich der Film eigentlich konkret wendet. Der Handlungshöhepunkt zum Beispiel gestaltet sich äußerst brutal, während der Fluchtversuch aus dem Internat eher an Slapstick erinnert. Mal denkt man, einen Familienfilm zu sehen, mal fühlt man sich wie in einem ernsthaften Abenteuerfilm.
Enola Holmes bei Netflix: Zielgruppe verzweifelt gesucht
Leider gelingt dieser Spagat zwischen den filmischen Stimmungen nur selten. „Enola Holmes“ scheint für jede und keine Altersgruppe zugleich geeignet zu sein. Hier wäre weniger mehr gewesen.
Apropos: Während die gewählten Stilmittel der Interaktion mit dem Zuschauer und jede Menge Exposition mit Zusammenschnitten, Zeitungsartikeln und Animationen zu Beginn passend platziert und gut in Szene gesetzt sind, so erscheinen sie in der zweiten Hälfte von „Enola Holmes“ eher redundant und repetitiv.
Und auch die unterschwellige Message zur Gleichberechtigung von Frauen ist zwar sinnvoll und unterstützenswert, allerdings kommen die Anspielungen und Kommentare dazu teilweise sehr flach daher und wirken manchmal sogar schlicht deplatziert. Hier wäre mehr Subtilität wünschenswert gewesen. Zumal die Taten und das Auftreten von Enola im Prinzip schon sehr passend einen emanzipatorischen Trend erkennen lassen.
Filme mit starken Frauen findest Du übrigens hier.
Enola Holmes: Stark begonnen, stark nachgelassen
Insgesamt hinterlässt „Enola Holmes“ einen durchwachsenen Eindruck. Der anfängliche Elan geht in der zweiten Hälfte des Netflix-Films verloren – bedauernswert angesichts des Potenzials, das die Besetzung und die Thematik hergeben. Der eine oder andere Handlungsstrang weniger und die Fokussierung auf eine grundlegende Tonalität hätten dem Endprodukt sehr gutgetan.
So ist „Enola Holmes“ ein solider Abenteuerfilm, der von der schauspielerischen Leistung seiner Hauptdarstellerin und dem hohen Produktionswert lebt und definitiv eine gewisse Unterhaltung bietet. Wer nun aber angesichts der Sherlock Holmes-Thematik einen fesselnden Krimi zum Miträtseln erwartet, wird leider enttäuscht. Das zentrale Element jedes Doyle-Romans ist zwar vorhanden, wirkt aber leider eher wie notwendiges Beiwerk, um die Geschichte im Sherlock-Universum zu verorten. Sicher nicht der cleverste Schachzug, um dem unsterblichen Erbe des Arthur Conan Doyle im Jahr 2020 auch bei Netflix gerecht werden zu können.
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