Adam Sandler Der schwarze Diamant
© Netflix
Bild aus Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim
Plakat zum Musical-Film Wicked

Der schwarze Diamant bei Netflix: Phänomenaler Adam Sandler im Film des Monats

Der son­st als Kla­mauk-Kasper bekan­nte Adam San­dler erteilt sich selb­st filmis­che Abso­lu­tion und liefert im Net­flix-Thriller­dra­ma Der schwarze Dia­mant eine darstel­lerische Meis­ter­leis­tung ab. Aber auch son­st überzeugt das Werk auf ganz­er Lin­ie und ver­di­ent sich daher unser Prädikat „Film des Monats”. Was ihn so beson­ders macht, erfährst Du hier.

Was wurde nicht schon alles auf Adam San­dler ver­bal einge­droschen. Schuld daran waren seine oft hem­mungs­los geschmack­losen Blödelkomö­di­en (Water­boy, Der Chaos-Dad), die ihn zu einem Star zweifel­haften Rufes machten.

Selb­st die zwis­chen­durch eingestreuten Licht­blicke in sein­er Fil­mo­gra­phie (Punch-Drunk Love, The Meyerowitz Sto­ries) kon­nten sein Anse­hen bei Kri­tik­ern und Cineas­t­en nicht zum Besseren wenden.

Dieser Sta­tus dürfte nun aber weitest­ge­hend der Ver­gan­gen­heit ange­hören. Mit Der schwarze Dia­mant legt San­dler den ihm anhaf­ten­den Geruch des Anti-Schaus­piel­ers schla­gar­tig ab und feiert einen uner­warteten Kar­ri­ere­höhep­unkt.

Adam Sandler in Der schwarze Diamant

Adam San­dler spielt in Der schwarze Dia­mant so gut wie nie zuvor | © Netflix

Darüber hin­aus ist das hyper­ak­tive Thriller­dra­ma von Net­flix ein außergewöhn­lich­es Seh-, Hör- und Gefühlser­leb­nis. Die logis­che Kon­se­quenz: Unser Film des Monats.

Die Handlung von Der schwarze Diamant: Der (Edel)stein des Anstoßes

Wenn der einzige Moment der Stille im Leben von Howard Rat­ner (Adam San­dler) eine Darm­spiegelung ist, sagt das viel über diesen Mann aus. Der umtriebige Juwe­len­händler het­zt durch New York wie ein Dura­cell-Hase, immer auf der Suche nach dem näch­sten großen Deal.

Howard ken­nt jeden und jed­er ken­nt Howard. Sein Smart­phone ist fast pausen­los in Betrieb, während er rast­los von einem Ter­min zum näch­sten hastet. Weil der wettsüchtige Geschäfts­mann hor­rende Schulden hat, kreuzen nicht nur Pfan­dlei­her, Buch­mach­er und Auk­tion­shändler seinen Weg, son­dern natür­lich auch Gang­ster, die ihr Geld ein­treiben wollen.

Kevin Garnett, LaKeith Stanfield und Adam Sandler in Der schwarze Diamant

Howard (Adam San­dler, rechts) weiß, wie er seine Kun­den ein­lullen kann | © Netflix

Deren gewalt­same Dro­hun­gen hin­dern Howard jedoch nicht daran, weit­er­hin ein­satzfreudi­ge Sportwet­ten abzuschließen. Der Grund für seinen Opti­mis­mus: Er ist im Besitz eines aus Äthiopi­en importierten schwarzen Opals, von dessen Verkauf er sich über eine Mil­lion Dol­lar Gewinn erhofft.

Dumm nur, dass er den Edel­stein dem Bas­ket­ball-Profi Kevin Gar­nett (als er selb­st) auslei­ht. Damit set­zt er näm­lich eine Kette von Ereignis­sen in Gang, die ihn immer tiefer in den exis­ten­ziellen Abgrund reißen.

Wuchtige Charakterstudie: Wie man ungebremst ins Verderben rast

„Das ist meine Art zu gewin­nen. So läuft das bei mir. Alles klar?” So entschlossen die Worte Howards an ein­er Stelle des Films auch klin­gen mögen, irgend­wie ahnt man als Zuschauer bere­its, dass diese großspurige Euphorie früher oder später in ein­er Katas­tro­phe endet.

Adam Sandler in Der schwarze Diamant

Atem­los in New York: Howard ist immer auf Achse | © Julia Cervantes/Netflix

Die Abwärtsspi­rale, in die sich der Pro­tag­o­nist hinein­manövri­ert, ste­ht ihm prak­tisch auf der Stirn geschrieben. Diesen unver­mei­dlichen Unter­gang beobachtet man stets mit gemis­cht­en Gefühlen zwis­chen Mitleid und Abscheu. Erscheint Howard in einem Moment noch wie ein schmieriger Ego­mane, wirkt er im näch­sten wie ein bedauern­swert­er Pechvo­gel, der per­ma­nent die falschen Entschei­dun­gen trifft.

Dank dieser Ambivalenz bemerkt man zunächst gar nicht, wie sehr das Schick­sal dieses Unsym­pa­then tat­säch­lich bewegt und man immer tiefer in dessen Kos­mos gezo­gen wird. Ein Kun­st­stück, dass die Regie-Brüder Ben­ny und Josh Safdie mit großer Wucht auf die Beine stellen.

Die jun­gen Filmemach­er machen da weit­er, wo sie mit ihrem eben­falls starken Vorgänger Good Time aufge­hört haben und set­zen dem Ganzen noch eins drauf. Der schwarze Dia­mant ist laut, hek­tisch, inten­siv und her­aus­fordernd. Unun­ter­brochen schreien hier Men­schen durcheinan­der, gestikulieren wild und gön­nen sich sowie dem Zuschauer keine Atem­pause.

Adam Sandler in Der schwarze Diamant

Howard zieht den Ärg­er magisch an | © Julia Cervantes/Netflix

Anstrengend, aber genial: Der schwarze Diamant ist ein einziger Rausch

Bei all dieser Hyper­ak­tiv­ität ver­lieren die Safdies allerd­ings nie das große Ganze aus den Augen. Ein Räd­chen greift ins andere in diesem adren­a­lin­ge­lade­nen Fieber­traum, der sich wie Par­ty­nacht, Kater und Aus­nüchterung auf ein­mal anfühlt.

Alles und jed­er ist ständig in Bewe­gung, Tele­fone klin­geln im Minu­ten­takt - ein über­bor­den­des Chaos, das für die Fig­uren des Films zur alltäglichen Ord­nung gehört. Ob gewollt oder nicht, beim Anschauen wird man unweiger­lich ein Teil dieser Welt und fühlt sich dementsprechend aus­ge­laugt. Als wäre man selb­st mit Dol­larze­ichen in den Augen durch die Stadt gehetzt.

Ein der­ar­tig immer­sives Erleb­nis gelingt Fil­men dieses Gen­res eher sel­ten. Ähn­liche Wirkung erziel­ten zulet­zt vielle­icht noch Dri­ve (2011) und Night­crawler (2014), die genau wie Der schwarze Dia­mant das Zeug zum zukün­fti­gen Kult-Klas­sik­er besitzen.

Adam Sandler und Julia Fox in Der schwarze Diamant

Howard und Julia kön­nen nicht mit und nicht ohne einan­der | © Julia Cervantes/Netflix

Der Film der Safdie-Brüder hin­ter­lässt seine Spuren und erlaubt dem Net­flix-Pub­likum wenig Zeit zur Regen­er­a­tion. Das ist natür­lich auch anstren­gend, aber in sein­er knall­harten Kon­se­quenz eben­so genial. Ganz so wie die Haupt­fig­ur Howard.

Spaßvogel war gestern: Adam Sandler in der Rolle seines Lebens

Der von San­dler gespielte Juwe­len­händler ist wohl ein­er der faszinierend­sten Charak­tere der jün­geren Filmgeschichte. Wie ein glitschiger Aal gleit­et er durch diesen Hex­enkessel, den er sein Leben nennt:

Gemein­sames Fest­tagsessen mit der jüdis­chen Sippe, Stre­it mit der Noch-Ehe­frau Dinah (Idi­na Men­zel), Sex mit der jün­geren Geliebten Julia (Julia Fox), der Besuch beim Prok­tolo­gen, das Feilschen und Ver­han­deln mit NBA-Stars und Ver­brech­ern - all das geschieht bei Howard in fließen­den Übergängen.

Idina Menzel in Der schwarze Diamant

Dinah (Idi­na Men­zel) hat nur noch Abscheu für ihren Mann Howard übrig | © Netflix

Howard ist ein Mann, den es wahrschein­lich nur in New York geben kann. Dabei scheint es, als sei er das wan­del­nde Geschwür, das die Stadt sukzes­siv zer­stört, und die Aor­ta, die sie zugle­ich am Leben erhält. Adam San­dler verkör­pert diesen Typus mit Verve und spielt gefühlt um sein Leben. Auch hier set­zt er zwar sein alt­bekan­ntes und oft ver­has­stes dümm­lich­es Grin­sen auf, zur reinen Gri­masse verkommt dieses jedoch nie.

Frühere Darstel­lun­gen, z. B. in Bil­ly Madi­son oder Hap­py Gilmore, erscheinen da höch­stens noch wie evo­lu­tionäre Überbleib­sel im Schaf­fen des 53-jähri­gen. Als hätte es niemals den Komik­er, son­dern immer nur den Schaus­piel­er San­dler gegeben.

Mit Der schwarze Dia­mant kön­nte der Hol­ly­wood-Star seine kreative Wiederge­burt feiern, eine zweite McConais­sance sozusagen. Eine Oscar-Nominierung hätte diesen Ver­gle­ich sich­er gestützt. Warum San­dler von der Acad­e­my ignori­ert wurde, weiß nur diese allein.

Adam Sandler in Der schwarze Diamant

Adam San­dler verblüfft als Howard Rat­ner in Der schwarze Dia­mant | © Netflix

Aber auch mit Gold­junge hätte er sich ver­mut­lich nicht kom­plett von seinem Blödel-Image lösen wollen. Dazu hat San­dler viel zu viel Spaß an Com­e­dy und sein­er Unberechen­barkeit. Wenn er nun allerd­ings regelmäßig nach vier kla­mauki­gen Komö­di­en einen Film wie Der schwarze Dia­mant inklu­sive beein­druck­ender Per­for­mance abliefert, sollte dies jed­er liebend gerne in Kauf nehmen.

Dass die Oscar-Jury manch­mal merk­würdi­ge Entschei­dun­gen trifft, zeigte sich in der Ver­gan­gen­heit auch bei diesen Fil­men.

Laien, Debütanten und alte Hasen: Das Besetzungskonzept geht auf

Die Safdie-Brüder haben mit dem Rest der Beset­zung aber eben­falls ins Schwarze getrof­fen. LaKei­th Stan­field (Knives Out) genießt den läs­sig-aggres­siv­en Flair des Ghet­to-Ver­mit­tlers Demany sichtlich. Auch die Alt­stars Eric Bogosian (Talk Radio) und Judd Hirsch (Inde­pen­dence Day) spie­len bravourös.

Die Neuent­deck­ung des Films ist jedoch Julia Fox als Howards etwas unbe­darfte Lieb­schaft Julia De Fiore. In ihrem Spielfilmde­büt als Schaus­pielerin legt sie ein unver­gle­ich­lich­es Charis­ma an den Tag, das Poten­zial für eine glo­r­re­iche Zukun­ft erah­nen lässt.

Julia Fox in Der schwarze Diamant

Julia Fox ist eine der großen Ent­deck­un­gen des Films | © Julia Cervantes/Netflix

Die Chemie zwis­chen ihr und San­dler stimmt in jed­er Sekunde, selb­st wenn sich ihre Fig­uren ent­nervt anbrüllen. Dass sich in diesen Wort­ge­fecht­en den­noch eine bizarre Zärtlichkeit ent­deck­en lässt, zeugt von grandiosem Schaus­piel.

Mit der Verpflich­tung von Laien­schaus­piel­ern wie Bas­ket­baller Kevin Gar­nett, Sänger The Week­nd und Per­so­n­en aus der realen Juwe­li­er- sowie Gang­ster-Szene fügten die Safdies ihrem Film außer­dem ein ganzes Stück Authen­tiz­ität hinzu.

Glitzer-Furbys und Dollarjagd: Traumwelten eines tragischen Helden

Als wäre das nicht schon genug, wird das fiebrige Treiben in Der schwarze Dia­mant von der kon­ge­nialen Film­musik Daniel Lopatins unter­malt. Die syn­thetis­chen Retro-Klänge des Kom­pon­is­ten steck­en voller Melan­cholie und Sehn­sucht, als würde man direkt in das schillernde Far­ben­spiel von Howards Opal blicken.

Adam Sandler in Der schwarze Diamant

Howard liebt das Risiko und has­st die Kon­se­quen­zen | © Netflix

Diese akustis­che Traumwelt bildet den per­fek­ten Gegen­satz zu Howard Rat­ners Mikrokos­mos, in dem Träume einzig und allein aus grü­nen Scheinchen beste­hen. Ein Kon­trast, der auch auf Bildebene aufge­grif­f­en wird:

Während der für einen Hunger­lohn schuf­tende äthiopis­che Bergar­beit­er auf der Suche nach Edel­steinen am anderen Ende der Welt einen offe­nen Bruch davon­trägt, amüsieren sich Howards gut betuchte Kun­den über einen mit Glitzer­perlen über­zo­ge­nen Fur­by in seinem Laden.

Zwis­chen Luxus und Leid liegen eben Wel­ten. Howard Rat­ner bewegt sich irgend­wo dazwis­chen und bemerkt gar nicht, dass seine Kom­pass­nadel immer mehr Rich­tung let­zterem auss­chlägt. Der schwarze Dia­mant ist dem­nach nicht nur ein atem­los­er Großs­tadt­thriller, son­dern in erster Lin­ie die Chronik eines tragis­chen Helden.

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