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The Last Duel | Kritik: Dekonstruktion des Rittertums
Ridley Scotts neuestes Werk „The Last Duel“ ist zu gleichen Teilen Ritter-Epos, Kriminalfilm und ein Kommentar zur #metoo-Ära. Doch wie gut greifen diese Elemente wirklich ineinander? Und wie schlägt sich der Cast um Adam Driver, Matt Damon und Jodie Comer? Die Antworten gibt‘s in unserer Kritik.
Die Ritter des Mittelalters verbindest Du vielleicht mit glänzenden Rüstungen, ihren Mut in der Schlacht und natürlich mit ihren unverrückbaren Idealen. In ihrer Freizeit beschützen sie die Schwachen, wenn sie nicht gerade eine holde Maid aus einer misslichen Lage retten. So kennen wir Ritter zumindest aus Jahrhunderten verklärender Kunst, Literatur und natürlich Filmen, wie die Dutzend Neuaufgüsse der König-Artus-Sage nur allzu deutlich beweisen.
Regie-Veteran Ridley Scott hat mit Werken wie „Königreich der Himmel“ bereits selbst seinen Beitrag zu diesem Helden-Mythos geleistet. Doch dass die Darstellung der Ritter als unfehlbare, selbstlose Ehrenmänner denkbar weit von der Realität entfernt ist, darüber gibt es in der Wissenschaft schon seit geraumer Zeit keine Zweifel mehr.
Dieser Denkschule folgend, erweist sich Scotts neuester Film The Last Duel als schonungslose Dekonstruktion eben dieses romantisierten Ritterbildes – die auch überraschend viel über die heutige Gesellschaft auszusagen weiß. Denn bevor die Stars Adam Driver und Matt Damon im titelgebenden Duell gegeneinander antreten, steht erst einmal die Frage, welchen Preis eine Frau zahlen muss, um ihr Recht zu erhalten.
Die Handlung von The Last Duel: Das Los einer Frau?
Das mittelalterliche Frankreich im 14. Jahrhundert: Einst kämpften Jean de Carrouges (Matt Damon) und Jacques Le Gris (Adam Driver) im Krieg Seite an Seite, doch über die Jahre sind aus den beiden Freunden bittere Rivalen geworden. Während der kultivierte Le Gris im Dienst des Fürsten Pierre d’Alençon Karriere macht, hat de Carrouges Geldprobleme und wird bei Hof verlacht.
Insbesondere de Carrouges zeigt sich zunehmend verbittert, da Le Gris mit Ländereien und Titeln überhäuft wird, die seiner Meinung nach ihm zustehen. Als er die reiche und schöne Marguerite (Jodie Comer) heiratet, scheint sich das Blatt aber endlich zu wenden. Die junge intelligente Frau verschafft ihm den lang ersehnten Seelenfrieden.
Eines Tages berichtet Marguerite ihrem Mann jedoch, dass Le Gris in seiner Abwesenheit in die Burg eindrang und sie vergewaltigte. Und sie will es nicht darauf beruhen lassen. Aufgrund von Le Gris‘ politischer Verbindungen haben die Carrouges‘ aber keine Chance, auf herkömmlichem Rechtswege Gerechtigkeit zu erlangen.
Also greift Jean nach dem letzten Strohhalm, um seine Ehre wiederherzustellen: Er fordert Le Gris vor dem jungen französischen König (Alex Lawther) zu einem Duell auf Leben und Tod heraus. Diese zu diesem Zeitpunkt schon veraltete Tradition soll vor Gott herausfinden, wer die Wahrheit spricht – kommt jedoch auch mit einem hohen Preis einher.
Denn wenn Jean verliert, wird auch seine Frau Marguerite wegen Falschaussage zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.
The Last Duel: Drei Kapitel zur Wahrheit
The Last Duel basiert auf dem Sachbuch „The Last Duel: A True Story of Crime, Scandal, and Trial by Combat in Medieval France“ von Eric Jaeger, also auf einer wahren Geschichte. Um sich der Wahrheit in diesem realen Kriminalfall aus dem Mittelalter anzunähern, hat Ridley Scott seinen Film in drei Kapitel unterteilt, die ähnlich wie in Akira Kurosawas Klassiker „Rashomon“ nacheinander die Ereignisse aus Sicht der einzelnen Protagonist:innen Jean de Carrouges, Jacques Le Gris und Marguerite de Carrouges zeigen.
Eine solche Erzählweise lebt von der Unzuverlässigkeit der Perspektiven und dem sich daraus ergebenden Dilemma. Und gerade in den ersten beiden Kapiteln, denen von Jean de Carrouges und Jacques Le Gris, spielt The Last Duel sehr erfolgreich mit der Ambivalenz der beiden Kontrahenten – und auch mit den Sympathien der Zuschauer:innen.
Die Stärken des Casts ausgespielt
Hier zeigt der Cast um Adam Driver, Matt Damon und Jodie Comer sein ganzes Können. Damon, sonst eher in der Rolle des sympathischen Saubermanns, überzeugt hier mit fragwürdigem Vokuhila als stupider Provinzritter, der sich schneller in eine Bredouille redet, als er „Ehre“ sagen kann.
Adam Driver hält als freigeistiger Lebemann Le Gris dagegen und lässt das Publikum dank seinem abgründigen Charme so manches Warnsignal übersehen. Hinzu kommt in einer Nebenrolle Ben Affleck, der nicht nur zusammen mit Damon am Drehbuch mitgeschrieben hat, sondern als Fürst Pierre mit blonder Topffrisur für einige der witzigeren Szenen sorgt.
Wer am Ende jedoch wirklich die Wahrheit spricht, daran lässt Scott keine Zweifel. Was eigentlich schade ist, denn auch das dritte Kapitel bietet genügend Diskussionspunkte, die den Fall in einem weniger eindeutigen Licht hätten zeigen können. Zu diesem Zeitpunkt weiß man aber schon, wie die Dinge wirklich stehen, was dem Drama ein gewisses Maß an Spannung und Kraft raubt.
Trotzdem ertappt man sich auch hier dabei, wie man jede Geste, jeden Blick und jedes Wort auf kleine Unterschiede zwischen den einzelnen Kapiteln zu analysieren versucht, was zum einen der präzisen Kameraarbeit, zum Großteil aber auch dem hervorragend nuancierten Spiel von „Free Guy“-Star Jodie Comer zu verdanken ist.
Echte Ritter und das dreckige Mittelalter
Auch in Sachen Inszenierung lässt Ridley Scott in The Last Duel nichts missen. So authentisch hat sich das Mittelalter auf der Leinwand zumindest schon lange nicht mehr angefühlt. Dabei sind die Bilder nie nur reiner Selbstzweck, verraten sie in all ihrem Schmutz, ihrer Kälte und Härte doch so viel mehr über die Lebensumstände, die die Menschen dieser Zeit geprägt haben.
Gerade Jean de Carrouges‘ Geschichte führt vor Augen, dass der Alltag des Landadels längst nicht so glamourös war, wie man es sich bei einem Ritter vorstellt. Um genügend Geld für die Abgaben an seinen Lehnsherr zusammenzukriegen, muss er immer wieder in den Krieg ziehen, um so durch Plünderungen seine Einkünfte aufzustocken.
Dabei werden die kurzen Schlachtenszenen so barbarisch, blutig und chaotisch in Szene gesetzt, dass vom sogenannten „Ritter in strahlender Rüstung“ anschließend kaum etwas übrig bleibt. Das ist kein Beruf für Gentlemen, sondern knallharter Ernst, in dem jeder um das nackte Überleben kämpft. Selbst wenn man dafür mit dem Kettenhandschuh das Gesicht des Gegners einschlagen muss.
Wenn de Carrouges dann Monate später krank und gedemütigt nach Hause zurückkehrt, sieht man schnell die Gründe für das oft enthemmte, auf Stolz und Wertschätzung fokussierte Verhalten dieses Ritters.
The Last Duel: Überraschend aktuell
The Last Duel sucht dennoch keine Entschuldigungen für seine Charaktere. Das mittelalterliche Frankreich wird als ein Umfeld gezeigt, in dem Frauen den Männern hilflos ausgesetzt sind. Marguerite kann so ihren Peiniger auch gar nicht selbst anklagen, weil sie vor der Justiz lediglich als das Eigentum ihres Ehemannes zählt. Auch Jean scheint es mehr um seine eigene verletzte Ehre zu gehen, als um die schreckliche Tat, die seine Frau erleiden musste.
Umso schmerzhafter ist es, wenn über die knapp zweieinhalbstündige Laufzeit immer klarer wird, dass das Dilemma von Marguerite keineswegs ein Relikt aus einer anderen Zeit ist. Sie wird unter Druck gesetzt, nicht nur von der Kirche, sondern auch von der eigenen Familie, Freund:innen und der öffentlichen Meinung. Das Risiko, die Rechte einer Frau einzufordern, ist genauso präsent wie in der heutigen #metoo-Ära.
Wie soll man einen mächtigen Mann anklagen, wenn man dafür die eigene Zukunft aufs Spiel setzt? Dies geschieht in The Last Duel über weite Strecken subtil, nur einige Dialogzeilen wirken doch etwas überdeutlich in ihrem Bestreben, Parallelen zur Gegenwart zu ziehen.
Einziger Wermutstropfen ist an dieser Stelle, dass der Film seiner feministischen Botschaft zu wenig Vertrauen entgegenbringt, um nicht doch noch vor dem letzten Kapitel die Schuld deutlich auszuformulieren. Denn dies sabotiert nicht nur das eigene Erzählkonzept, etwas mehr Ambivalenz hätte der starken Aussage auch im letzten Drittel keinen Abbruch getan.
Das letzte Duell: Brachiale (Bild)-gewalt
So läuft alles auf den großen Höhepunkt des Films hin, das Duell zwischen den beiden Kontrahenten Le Gris und de Carrouges. Und hier liefert Scott nochmal richtig ab. Denn die Konfrontation der beiden Männer wird mit einer solch anarchischen Wucht und Gewalt auf die Leinwand geworfen, dass einem beim Zuschauen schlicht der Atem wegbleibt.
Pferde krachen aufeinander, Schilder zerbersten und Blut fließt, während sich Damon und Driver mit Lanzen, Schwertern, Äxten und Dolchen gegenseitig beharken. Gleich Berserkern gehen die Erzfeinde aufeinander los – Sinnbild und Dekonstruktion des vermeintlich noblen Ritterstandes zugleich.
Marguerite muss unterdessen hilflos zuschauen. Ihr Leben hängt vom Ausgang genauso ab, wie das der beiden Duellanten. Doch das können nur die Männer unter sich ausmachen…
Alles, was Du zum aktuellen Kinojahr wissen musst, findest Du bei uns: In der großen Film-Übersicht für 2021.
The Last Duel-Kritik: Das Fazit zum Mittelalter-Drama
Ridley Scotts The Last Duel ist ein bildgewaltiger Mittelalter-Krimi, der nicht nur das klassische Ritterbild entromantisiert, sondern auch mit starken Darsteller:innen und einer noch stärkeren feministischen Botschaft aufwartet. Nur schade, dass der Mut nicht ausgereicht hat, um die Auflösung des Falls etwas mehr in der Schwebe zu halten. Dafür wird man zum Schluss mit einem brachialen Endkampf für die Geschichtsbücher entlohnt.
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