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Jim Knopf und die Wilde 13: Die Kritik zum neuen Fantasy-Blockbuster
Am 1. Oktober startet mit „Jim Knopf und die Wilde 13” die Fortsetzung der Filmadaption von „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer” in den deutschen Kinos. Doch was interessiert einen Erwachsenen schon die Verfilmung eines Kinderbuches aus den Sechzigerjahren? Vielleicht der Umstand, dass sie Botschaften vermittelt, die jeden interessieren sollten. Vielleicht das Wissen darum, dass der Autor fest daran glaubte, dass Fantasie die Gegenwart formen kann. Oder dass diese Botschaften nicht nur Generationen, sondern auch Kulturen miteinander verbindet. Gar nicht mal so kindisch.
Allein in den USA existieren drei Inseln mit dem Namen „Happy Island”. Jede Wette, dass kaum ein Deutscher je von diesen Inseln gehört hat. Dafür kennen Millionen Menschen aus allen Generationen seit über 60 Jahren eine Insel, die man im Gegensatz zu den Happy Islands auf keiner einzigen Landkarte finden wird. Das winzige Lummerland ist ein Ort, der auf den inneren Landkarten zahlreicher Menschen mindestens genauso viel Platz einnimmt wie Bullerbü, Phantasien oder Taka-Tuka-Land.
Die Herausforderung, diesen hochemotional besetzten Fantasieort glaubwürdig auf deutsche Kinoleinwände zu zaubern, meisterte Regisseur Dennis Gansel bereits in seiner ersten großartig geratenen Filmadaption der Jim Knopf-Reihe des deutschen Schriftstellers Michael Ende.
Mit einem Budget von rund 25 Millionen Euro gilt das mitreißende Familienabenteuer „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer” von 2018 auch heute noch als eines der teuersten deutschen Filmprojekte. Rund zwei Millionen Fans ließen sich in den deutschen Kinos von der detailverliebten und werktreuen Umsetzung des Kinderbuchklassikers verzaubern. Auch ihre Fortsetzung wird das Publikum nicht enttäuschen.
Jim Knopf und die Wilde 13: Neue Abenteuer mit Wurzeln und Flügeln
Es ist nun schon eine ganze Weile her, seitdem Jim (Solomon Gordon) und Lukas (Henning Baum) ihr erstes gemeinsames Abenteuer bestehen mussten. Mittlerweile ist Lummerland eine Städtepartnerschaft mit der chinesischen Metropole Ping eingegangen und um die kleine Halbinsel Neulummerland und eine neue Bewohnerin in Gestalt von Jims bester Freundin Prinzessin Li Si reicher.
Dennoch sorgen sich Frau Waas (Anette Frier) und Lukas, der Lokomotivführer, um ihren jungen Schützling Jim. Mit einem Gesicht wie sieben Tage Kummerland-Wetter treibt den Jungen die Frage nach seiner Herkunft mehr denn je um. Ganz zu schweigen von seiner Sehnsucht nach weiteren Abenteuern jenseits von Lummerland. Auch Lukas weiß keinen Rat, denn „ein richtiges Abenteuer, das kann man nicht suchen, das findet einen”. Welche Ironie, dass am Anfang dieses neuen Abenteuers vorerst etwas essentiell Wichtiges nicht gefunden wird.
Als das Postschiff im Nebel beinahe an der Küste der putzigen Insel zerschellt, verkündet König Alfons der Viertelvorzwölfte (Uwe Ochsenknecht) seinen Untertassen, äh Untertanen, dass der Vorfall mit dem Postschiff ihm nochmal „unter die Augen gerieben, also vor die Nase geführt” habe, dass es so nicht weitergehen kann. „Lummerland braucht dringend einen Leuchtturm”, stellt der schusselige Inselkönig entschlossen fest.
Jim und Lukas sind Feuer und Flamme und versprechen, den Scheinriesen Herr Tur Tur in seiner Wüstenoase aufzusuchen und ihn als kostengünstigen Leuchtturm zu engagieren. Doch das wird nicht die einzige Mission bleiben, auf die Jim und Lukas sich mit allerlei neuen und alten Freunden und Feinden begeben müssen. Schließlich sucht die Piratenmannschaft der Wilden 13 immer noch nach einem würdigen Endgegner, eine reizende Meerjungfrau nach einem magischen Stein, so mancher Außenseiter nach Freundschaften und Jim nach seinen Wurzeln …
„Jim Knopf und die Wilde 13” dauert 109 Minuten, ist ab 0 Jahren freigegeben und startet ab dem 1. Oktober 2020 in den deutschen Kinos.
Bildgewaltiges Abenteuerkino mit Herz und Verstand
Kulturgut verpflichtet, egal ob fantastisch oder realistisch. Das weiß auch Regisseur Dennis Gansel, der Jims und Lukas’ neue Reise ein weiteres Mal betont märchenhaft, detailreich und liebevoll in Szene setzt. Die Ästhetik ist keine regionale, sondern eine internationale. Auch das nach Aussagen von Warner Bros. 20 Prozent schmalere Budget für den zweiten Teil tut dem aufwendig inszenierten Leinwandabenteuer keinen Abbruch.
In farbenfrohen Settings und episodischen Abenteuerprüfungen führt es die liebgewonnen Protagonisten recht actionreich und buchstäblich durch Winde, Wüsten und Wildwasser. Neue und alte Figuren punkten mit ihrem einmalig hohen Wiedererkennungswert, vom schrulligen Lummerland-Bewohner bis zum eigenbrötlerischen Halbdrachen Nepomuk, inbrünstig gesprochen von Michael Bully Herbig.
Im Gegensatz zum ersten Teil halten sich CGI- und Greenscreen-Effekte hier etwas mehr im Hintergrund. Mehrwert und Tonalität des Familienfilms bestechen durch eine unbeschwerte Mischung aus fantastischem Buddy- und Roadmovie für alle Altersklassen. Gansels Realverfilmung findet auch im zweiten Teil kindgerechte Metaphern für gesellschaftliche und zwischenmenschliche Werte wie Toleranz, Mut und Freundschaft.
Die bombastische akustische Untermalung erfolgt wie bereits im ersten Teil mit der eingängigen Titelmusik der legendären gleichnamigen Produktion der Augsburger Puppenkiste.
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Charismatischer Cast im Zeichen der Identitätssuche und Integration
Wer sich mit Jim, Lukas und Konsorten auf die Reise macht, der darf sich auf leuchtende Kinderaugen freuen. Stilvoll animierte Landkarten zeichnen die Abenteuer-Route nach, vom Barbarischen Meer bis zum Land, das nicht sein darf. Zwischen prächtigen und stilechten Piratenschätzen und kindgerechten Rätseln zum Mitfiebern und der ein oder anderen rasanten Bruchlandung bleibt aber stets genug Raum für die Protagonisten.
Da steht vor allem Jim im Mittelpunkt, der in seiner Pubertät nach Identität und Herkunft sucht. Der 15-jährige Brite Solomon Gordon punktet in dieser Rolle zwar mit positiver Ausstrahlung, aber es fällt dem jungen Nachwuchsschauspieler stellenweise schwer, den Interaktionen seiner Hauptfigur mit den deutschen Darstellern emotionale Tiefe zu verleihen. Gordon dazu in einem Interview: „Ich habe meinen Text auf Englisch gesprochen, die anderen ihren auf Deutsch […] Es ist ein bisschen schwieriger […] Es ist anders. Ich wusste ja dann nie genau, was die anderen wirklich sagten, also manchmal kamen meine Gefühle dabei etwas falsch herüber. Aber es war schon okay.”
Lukas-Darsteller Henning Baum gibt eine bodenständige Performance ab und verkauft seine jungen Zuschauer nicht für dumm. Auf zu starke Überzeichnungen und überkandidelte Gefühlsausbrüche, die häufig im Kinderfilm-Genre zu beklagen sind, verzichtet der 48-Jährige erfreulicherweise auch im zweiten Teil.
Im Gegensatz dazu gibt sich „Ku’damm 56”-Star Sonja Gerhardt ungewohnt hölzern und theatralisch in ihrer Nebenrolle der heiratswilligen Meernixe Sursulapitschi, doch der verhältnismäßig kleine Part bringt in diesem Fantasy-Blockbuster nichts ins Wanken. Dafür gleich in mehrfacher Ausführung vertreten: Comedian und Schauspieler Rick Kavanian. Der 49-Jährige spielt mit Inbrunst gleich eine ganze Mannschaft rechtschreibschwacher Piraten und meistert dabei mit Charme und Witz den schmalen Grad zwischen Humor und Klamauk.
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Völkerverständigung und Humanismus im Sinne des Schöpfers
Ehrensache, dass auch im zweiten Teil Michael Endes durchaus politisch gemeinte Geschichte eine Botschaft feiert, die sich derzeit kaum noch aktueller gestalten könnte und dennoch so zeitlos und saftig ist, wie das Rosinen-Gugelhupf-Rezept von Frau Waas.
Im Ende-Universum stehen Wasser- und Feuerwesen, Scheinriesen und Halbdrachen vor allem ihre eigenen Vorurteile im Weg – und das schon seit Hunderten von Jahren. „Michael hat Vorurteile bewusst aufgegriffen, um sie dann umzukehren. Gerechtigkeit war ihm ein wichtiges Anliegen”, erinnert sich Michael Endes Literaturagent Hocke in einem Interview mit der Zeit, der erfreut darüber sein dürfte, wie die Filmadaption die essentiellsten Textstellen diesbezüglich aufgreift.
Bemerkenswert auch, wie „Jim Knopf und die Wilde 13”, dessen Buchvorlage aus dem Jahr 1962 stammt, mit viel Einfühlsamkeit das Gegenteil unserer gegenwärtigen Realitäten zu suchen und vor allem zu finden weiß: In Zeiten von Covid 19 bemühen sich Nepomuk und Co. vor allem um mehr Nähe. Während die Cancel Culture außerhalb des Kinosaals hohe Wellen schlägt, weiß man sogar über die Grenzen Lummerlands hinaus sauber miteinander zu kommunizieren. Und während draußen die Demokratie in so manchem Land in ihren Grundfesten erschüttert wird, triumphiert sie in „Jim Knopf und die Wilde 13” auf ganzer Linie.
Denn auch im zweiten Teil missionieren die Lummerländer ihren ganz eigenen liberalen Insel-Lifestyle, der da lautet: Leben und leben lassen. Man lasse dem Nächsten seine Macken und Unterschiede, denn genau die machen ihn liebenswert und Lummerland lebenswert. Wer in der Spiegelwüste zusammen mit einem Findelkind, einem Lokomotivführer, einem Scheinriesen und einem Halbdrachen am Lagerfeuer sitzt und bei Feigenkaffee und gegrilltem Wüstensand auf Pluralismus und Diversität anstößt, der lebt ganz sicher, was er predigt.
Ende pflegte zu sagen, dass das Magische an Geschichten sei, dass sie die Wirklichkeit formen könnten. Er schrieb für das Kind im Erwachsenen und den Erwachsenen im Kind. Endes Freund und Lektor Roman Hocke versteht seine Geschichten als Entwurf, als Inspiration und als Vorschlag für die Gesellschaft zugleich. Letztlich solle man sich bei Endes Geschichten nur eines fragen: „Wie wünscht man sich das Miteinander und wofür will man einstehen? Vielleicht ist ja mal eine erdachte Welt dabei, von der wir sagen: Die ist besser, so könnte es werden.”
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