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Bardo: Das Ende der Netflix-Tragikomödie erklärt
Ein Künstler in der Krise gerät einen Strudel aus Bildern und Erinnerungen: Der neue Film von Alejandro González Iñárritu ist kein leichter Stoff und wirft viele Fragen auf. Hier findest Du das Ende von „Bardo” erklärt.
Der mexikanische Regisseur Alejandro González Iñárritu ist nicht bekannt für seichte Unterhaltung und buntes Popcorn-Kino. Seine Markenzeichen sind wuchtige Bilder und Held:innen, die an ihre Grenzen gehen, wie etwa in dem Oscar-gekrönten Survival-Drama „The Revenant”.
Auch in „Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten” (seit 16. Dezember 2022 bei Netflix) geht Iñárritus Protagonist an seine Grenzen – und darüber hinaus.
Darum geht’s in Bardo
Der Held heißt Silverio (Daniel Giménez Cacho), ist Journalist und Dokumentarfilmer und mit seinem Latein ziemlich am Ende. Silverio steckt in der Krise seines Lebens, obwohl er auf dem Höhepunkt seines Schaffens angelangt zu sein scheint: Als erster lateinamerikanischer Journalist soll er in Los Angeles einen wichtigen US-Medienpreis bekommen.
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Silverio gelang vor 15 Jahren der Sprung aus Mexiko City nach Los Angeles, wo er ein gefeierter Filmemacher ist. Aber Silverio zweifelt an seiner Arbeit, seiner Identität, seinem Verstand. Sein Leben sei „ein Tumult an Bildern, Erinnerungen, Splittern” analysiert er seine Verfassung.
In dieser Verfassung schickt ihn Iñárritu auf die Reise. Die Reise geht nach Mexiko, um PR für seinen jüngsten Film zu machen, eine Doku-Fiction über Mexikaner:innen, die in die USA immigrieren wollen. Die Reise wird zu einem Trip, in dem sich Realität und Vision, Traum und Albtraum, Vergangenheit und Gegenwart vermischen.
Das Ende von Bardo erklärt: der Schatten über der Wüste
Der Film beginnt mit dem Bild eines langen Schattens, der über eine Wüstenlandschaft fällt. Der Schatten nimmt mehrfach Anlauf, bis es ihm gelingt, vom Boden abzuheben und zu fliegen. Er entschwebt und verschwindet. Mit einer sehr ähnlichen Szene endet Bardo: Wieder steigt ein Schatten über der Wüste in die Luft und verschwindet.
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Diesmal wissen wir aber, wem dieser Schatten gehört: Silverio. Denn Silverio erleidet, zurück in Los Angeles, kurz vor der Preisverleihung einen Schlaganfall. Er nimmt zwar noch an der Galaveranstaltung teil, fällt anschließend aber ins Koma.
Seine Familie bringt ihn zurück nach Mexiko City, wo er an Maschinen angeschlossen vor sich hindämmert. Silverio befindet sich an der Grenze zwischen Leben und Tod. Die letzten Bilder des Films legen nahe, dass er diese Grenze überschreitet: Er stirbt. In einer Traumsequenz verabschiedet er sich von seiner Frau und seinen beiden Kindern und verschwindet als Schatten über der Wüste.
Silverios letzter Film
Die letzten Bilder des Films legen aber noch etwas anderes nahe: Was wir in Bardo sehen, ist die fantastisch eingefärbte Mexiko-Reise und die Bilanz seines gesamten Lebens. Der Bilderstrom aus realen Erlebnissen, persönlichen Traumata, Sequenzen aus seinen Filmen und surrealen Begegnungen, etwa mit seinem toten Vater, geht dem komatösen Silverio in seinen letzten Stunden durch den Kopf.
Der Künstler in der Krise macht seinen letzten Film – einen Film, den nur er sieht. Dieser Film ist zweifellos ein Meisterwerk: Er ist ebenso rätselhaft wie formvollendet. Und er beweist, dass der Künstler Silverio noch eine Menge zu sagen hat. Etwa über das komplizierte Verhältnis zwischen Mexiko und seinem mächtigen Nachbarn USA, das ihn zu zerreißen scheint.
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“Ich habe keine Nationalität”, sagt Silverio einmal. Nur einmal ist er ganz bei sich selbst: Er tanzt ausgelassen auf einer Party ihm zu Ehren unter Mexikaner:innen zu mexikanischer Musik. Aber zurück in den Süden ziehen?
Das kommt für ihn angesichts mächtiger Drogenkartelle und korrupter Politiker:innen nicht infrage. Kann ein Mexiko, dass seinen Bundestaat Baja California an Amazon verkauft (eine der fiktiven Hintergrundgeschichten in Bardo) sein Mexiko sein? “Du willst immer alles erklären”, sagt seine Tochter zu ihm, als sie ihm eröffnet, von Boston zurück nach Mexiko ziehen zu wollen.
Das Ende von Bardo erklärt: Das tote Kind des Filmemachers
Die bittere Ironie von Silverios Geschichte ist, dass er erst wieder im Koma in seinem Geburtsland ankommt. Und dort stirbt, wo er geboren wurde. Damit schließt sich allerdings auch ein anderer Kreis in Bardo.
Die verstörende Geburtsszene gleich zu Beginn des Films findet ihr Ende und ihre Erklärung ebenfalls im Finale von Bardo. Das Kind, das noch im Kreissaal wieder in den Mutterleib geschoben wird und jahrelang die Familie belastet, ist Mateo, Silverios erstgeborener Sohn.
Mateo lebte nur 30 Stunden, wie wir später erfahren. Er wollte einfach nicht auf diese schlechte Welt, wie es heißt. Erst rund zwanzig Jahre später gelingt es Silverio und seiner Frau, von dem Kind Abschied zu nehmen – in einer Art Bestattungszeremonie am Strand von Baja California.
Silverio leitet damit seinen eigenen Abschied von der Welt ein. Auch weil er weiß, dass sein Erfolg sein „größtes Scheitern ist”. Dem Genie des Filmkünstlers Alejandro González Iñárritu haben wir es zu verdanken, dass dieses Kopfkino über die existenzielle Krise eines Künstlers kein Hirngespinst geblieben ist, sondern ein Spielfilm. Und es ist ein guter Film, so schlecht es um Mexiko, die USA und die ganze Welt auch bestellt sein mag.
Welche der vielen verrückten Szenen in Bardo ist Deine Lieblingsszene? Verrate es uns in einem Kommentar.