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Film-Review: „Captain Marvel“ – Charmeoffensive zwischen Sci-Fi-Action und Retro-Pop
Der Kosmos im Marvel Cinematic Universe (MCU) leuchtet etwas heller. Eine der stärksten Marvel-Heldinnen bekommt vor Avengers: Endgame noch einen Solofilm spendiert. Warum uns das Sci-Fi-Abenteuer überzeugt und wie es ausgetretene Pfade verlässt, erfährst Du in der featured-Filmkritik zu Captain Marvel.
Die zivile Identität der Superheldin Captain Marvel, bürgerlich Carol Danvers, hat eine komplexe Hintergrundgeschichte. Von der Liebelei des männlichen Captain Marvel in den Siebzigern entwickelte sie sich schnell zum popkulturellen Aushängeschild der Feminismusbewegung. Und auch im aktuellen Film beweist sie, dass Frauenpower keine unnatürliche Superkraft ist – sondern naturgegeben ist.
Vers: Eine Elite-Soldatin erinnert sich an ihr irdisches Leben
Durch die Adern der Soldatin Vers (Brie Larson) fließt blaues Blut. Sie gehört zur Starforce, einer Gruppe Elite-Soldaten unter dem Kommando der Kree, einer Rasse außerirdischer „nobler Krieger-Helden“. Das war allerdings nicht immer so. Als sie während einer Mission in die Hände der gestaltwandelnden Skrulls gerät, merkt sie, dass ihre Erinnerungen bis zu einem fernen seltsamen Planeten reichen: der Erde.
Einen Unfall später landet sie genau dort. Und das auch noch mitten in den Neunzigern. Dort trifft sie auf Nick Fury (Samuel L. Jackson), Agent der Geheimorganisation S.H.I.E.L.D. und noch wesentlich unbedarfter als in bisherigen Marvelfilmen.
Während Vers zusammen mit Fury ihr früheres Leben als Air-Force-Pilotin Carol Danvers Stück für Stück (wieder)entdeckt, sind sowohl die Kree als auch die Skrull überaus interessiert an ihr und ihrer Vergangenheit. Ab jetzt steht die Erde im Mittelpunkt eines intergalaktischen Konflikts.
Captain Kevin: Altes Rad und neue Speichen
Ein Pilot erhält von einer außerirdischen Macht übermenschliche Fähigkeiten und wird zum Beschützer der Erde und vieler anderer Planeten. Das kommt Dir vielleicht bekannt vor. Beim Konkurrenzverlag DC funktioniert die Green Lantern nach dem gleichen Prinzip.
Neuer Versuch: Ein sympathischer US-Soldat bekommt ungeahnte Kräfte, verschwindet dann von der Bildfläche, um Jahrzehnte später den Tag zu retten. Das kennst Du schon vom ersten Avenger Captain America, der jahrzehntelang im ewigen Eis schlief. Wenn unsere Titelheldin im April dieses Jahres für Avengers: Endgame zurückkehrt, werden auf der Leinwand immerhin schon 25 Jahre vergangen sein. Das will erst einmal erklärt werden.
Kurz: Das Story-Rad neu erfinden kann auch Captain Marvel nicht. Aber Kevin Feige, ausführender Produzent bei Marvel und Mastermind hinter dem MCU, hat Regiestuhl und Schreibmaschine erneut geschickt besetzt, um dem alten Rad wenigstens unverbrauchte Speichen zu spendieren – und zur Abwechslung auch mal weibliche. Wie schon bei Doctor Strange oder Thor 3 hat man sich dazu entschieden, kreative Köpfe aus dem Independent-Bereich zu engagieren.
Das Duo Anna Boden und Ryan Fleck hat bisher vor allem schmalbudgetierte Dramastoffe bearbeitet, obgleich hochkarätig besetzt. Das mag der Grund dafür sein, dass Captain Marvel bisweilen den Eindruck erweckt, als hätte man das Duo regelrecht dazu zwingen müssen, Brie Larsons charmantes Schauspiel mit dem im Genre üblichen Effektpomp zu unterbrechen.
Captain Marvel und Female Empowerment
Wie so oft ist die Welt der Comics jener der Leinwand Lichtjahre voraus. Weibliche Superhelden haben schon seit Jahrzehnten Soloabenteuer zu bestehen. Die Carol-Danvers-Inkarnation der Figur Captain Marvel gilt ragt unter den weiblichen Helden im Marvel-Kosmos eindeutig heraus. Dass ein adäquates Soloabenteuer der mächtigen Superheldin so lange auf sich warten ließ – das MCU feiert sein 10. Jubiläum – liegt offensichtlich nicht am Publikum. Denn das hat „häufiger nach Black Panther und Captain Marvel“ gefragt, als nach einer weiteren Iron-Man-Fortsetzung, so Kevin Feige im Interview mit IGN.
Noch immer sind Frauen in Filmen dramatisch unterrepräsentiert oder werden stereotypisiert. Kein wissenschaftlicher Test, aber ein netter Denkanstoß dazu ist der Bechdel-Test. Dieser überprüft, ob in einem Film (erstens) mindestens zwei weibliche Figuren auftreten, die (zweitens) miteinander reden und das über (drittens) etwas Anderes als einen Mann. Captain Marvel besteht den Test mit Bravour.
Und da verwundert es nicht, dass dieser Film zwar nicht mit dem erhobenen Zeigefinger fuchtelt, aber trotzdem ohne Umwege klar macht, dass es um Female Empowerment geht. Etwa wenn sich Carol und ihre Freundin Maria als Kampfjet-Pilotinnen in einer vermeintlichen Männerdomäne behaupten müssen. Starke weibliche Vorbilder, wie Flugpionierin Amelia Earhart, dürfen dabei als Referenz nicht fehlen. Dabei fällt auf, dass Captain Marvel vor allem dann glänzt, wenn Carol Danvers ihre kosmischen Kräfte nicht benutzt, mit denen sowieso niemand mithalten kann. Sie überzeugt mit Willensstärke, Intelligenz und Integrität. Aber natürlich auch mit Laserstrahlen.
Da liegt der Vergleich zu DCs Erfolgsfilm Wonder Woman nahe – obgleich Marvel im direkten Vergleich vielleicht die größere Hürde genommen hat. Denn dort, wo sich Wonder Woman als schnörkellose Galionsfigur in einer Welt voller Männerstereotype bewegt, gesteht Marvel Captain Marvel zu, imperfekt, ungestüm und voreilig zu sein. Moralisch, aber nahbar.
Female Empowerment ist deswegen nicht bloß ein Wort für das MCU – Wie sich Vodafone weltweit für Female Empowerment einsetzt, erfährst Du im ArtikelCaptain Marvel verkörpert weibliche Stärke.
Photonenstrahlen und Kuschelkatzenkitsch
Auch seitens der Effekte kann Captain Marvel punkten. Mit Photonenstrahlen, Gestaltwandlern und Raumschiffschlachten, die nach Star Wars anmuten, kommt das Action- und Sci-Fi-Herz auf seine Kosten. Vor allem, wenn Carol Danvers alias Captain Marvel ihre Kräfte entfesselt, wackelt die Leinwand.
Das könnte natürlich auch daran liegen, dass der Film, abgesehen von den modernen Effekten, ganz easy auch als 90s-Science-Fiction-Abenteuer im Nachmittagsprogramm durchgeht. Außerirdische haben ein loses Mundwerk, im Radio dudelt No Doubt und die zwei ungleichen Hauptrollen tauschen flotte Sprüche aus. Und alles mit garantiertem Happy End.
Wenn uns die Popkultur eines gelehrt hat, dann, dass das Publikum auf kleine kuschlige Nebenfiguren steht; siehe Gremlins, Ewoks, Porgs und so weiter. In diesem Fall heißt das Fellknäuel Goose, ist eine Katze und stiehlt Samuel L. Jacksons Nick Fury ganz schön die Show!
Kurzweilige Sci-Fi-Kost mit Retro-Charme
Die zwei Stunden Laufzeit merkt man Captain Marvel definitiv nicht an. Das liegt auch an der flott erzählten Geschichte, die durchaus ein, zwei Nebenfiguren weniger vertragen hätte, um die interessante Vorgeschichte etwas näher zu beleuchten. Humor und Sci-Fi-Action tun ihr Übriges dazu und vertuschen geschickt, dass der Film an Spannungsarmut leidet. Fazit: Jeder Film sollte Neunziger-Musik und Kuschelkatzen haben. Und starke Frauenfiguren. Ein Filmtipp.
Captain Marvel
Genre: Superhelden / Science Fiction
Bundesstart: 07.03.2019
Laufzeit: 124 Minuten
FSK: Ab 12 Jahren
Regie: Anna Boden, Ryan Fleck
Drehbuch: Anna Boden, Ryan Fleck, Geneva Robertson-Dworet
Wie gefällt Dir der erste Solofilm mit weiblicher Hauptrolle im MCU? Wir freuen uns auf Deine Meinung in den Kommentaren.