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“Der Unsichtbare“ in der featured-Filmkritik: Frischer Wind ohne heiße Luft
Klassiker der Horrorliteratur funktionieren nicht immer auch als Klassiker der Moderne. Die Gruselschmiede Blumhouse hat den Stoff um den Invisible Man adaptiert und entkernt. Warum das funktioniert, erfährst Du in der featured-Filmkritik zu Der Unsichtbare.
Klassische Filmmonster wie Dracula und Frankenstein modern und zeitgemäß wiederbeleben: Mit dem sogenannten „Dark Universe“ wollte Universal Pictures ein Film-Universum schaffen, das dem Marvel Cinematic Universe (MCU) ähnelt. So sollte Johnny Depp der eigentliche Star in der Neu-Adaption des Horrorklassikers Der Unsichtbare werden. Dann kam alles anders. Mit dem Flop von Die Mumie 2017 begrub Universal seine Pläne und das Filmprojekt Der Unsichtbare ging über Umwege an die erfolgreiche Low-Budget-Genre-Schmiede Blumhouse und den Saw-Autor Leigh Whannell. Eine gute Entscheidung.
___________: Am Rande des Wahnsinns
Cecilia (Elisabeth Moss) flieht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vor ihrem kontrollsüchtigen Ex-Liebhaber Adrian (Oliver Jackson-Cohen). Kurze Zeit später vermeldet sein Bruder, der auch als sein Nachlassverwalter fungiert, den Selbstmord Adrians. Cecilia erbt einen beträchtlichen Teil von dessen Vermögen, das er mit seiner Forschung im Bereich der Optik verdient hat. Um das Vermögen zu behalten, muss Cecilia jedoch straffrei und zurechnungsfähig bleiben. Und beides erscheint immer schwieriger angesichts der Tatsache, dass etwas oder jemand Unsichtbares Cecilia zunehmend in den Wahnsinn treibt und Menschen in ihrem Umfeld ums Leben kommen.
Der ___________: Reduktion statt Attraktion
Im Original – Der Unsichtbare von 1933 – gibt es eine dramatische Szene, in der die Titelfigur Griffin dem Drängen der neugierigen Masse nachgibt, seine Bandagen abwickelt und damit preisgibt, dass unter der Maskerade, oh Schreck, nichts steckt – zumindest scheinbar. Und in dem Kontext ihrer Zeit beeindrucken die Effekte von Vfx-Ikone John P. Fulton noch immer, …
… aber anno 2020 hat das Publikum gefühlt schon fast alles gesehen. Warum also versuchen, tote Pferde zu reiten, anstelle eines quicklebendigen Esels? Sieht weniger schick aus, bringt einen aber eher zum Ziel. Und so setzt Leigh Whannell ein Gros der Zeit auf Andeutungen und spielt mit auditiven Elementen; lässt sich dabei allerdings auch zu ein, zwei unnötigen Jumpscares hinreißen.
Die wenigen Spezialeffekte funktionieren folgerichtig auch dann am besten, wenn sie nur visuelle Stichwortgeber für die Fantasie des Zuschauers sind. Ein Beispiel: Die Neugier treibt Cecilia vor die Tür. Beim Ausatmen steht ihr die kalte Nachtluft vor dem Mund. Einen Augenblick später atmet etwas hinter hier auch aus, unbemerkt und unsichtbar. Das reicht. Wir wissen: er ist wieder da.
Aufwendigere Computer-Generated-Imagery-(CGI-)Effektversuche gibt es zwar vereinzelt, die beweisen allerdings nur, dass sie sichtlich nicht im Blumhouse-üblich niedrigen Produktionsbudget von 7 Millionen US-Dollar eingeplant waren.
_______________: Psychothriller mit Perspektivenwechsel
Blumhouse hat schon einigen strauchelnden Marken ein neues Zuhause geschenkt. Mit Halloween (2018) führten sie Mas(s)kenmörder Michael Myers zu seinen geerdeten Wurzeln zurück. Und mit Split (2016) und Glass (2019) gab man dem strauchelnden Regisseur M. Night Shyamalan die Gelegenheit, seinen Quasi-Superheldenfilm Unbreakable fortzusetzen. Vor allem der Budgetpragmatismus von Blumhouse zwingt Autoren und Regisseure dazu, von (oft überflüssigen?) Spielereien abzusehen und sich mehr auf Story und Charaktere zu fokussieren; Vorlagen eventuell neu zu denken.
In der jüngeren Filmgeschichte sollten überbordende Effektschlachten die angestaubten Filmmonster aus der Klassik für ein aktuelles Publikum runderneuern. Wir erinnern uns an Filme wie Dracula Untold (2014), den oben erwähnten Die Mumie (2017) mit Tom Cruise oder auch Van Helsing (2004) mit Hugh Jackman und jeder Menge CGI auf Playstation-2-Niveau.
Der Unsichtbare wechselt die Perspektive; begleitet nicht den Täter, sondern das Opfer. Und mit der Entschlackung des Quellstoffes von überflüssigem Pathos und Groschenheftgrusel fällt dann auch die Erklärung der Unsichtbarkeit vergleichsweise simpel und fast schon unspektakulär aus, dafür erschreckend zeitgemäß. Spoilern wollen wir an dieser Stelle trotzdem nicht.
Mit dem Cast von Elisabeth Moss ist man dabei auf Nummer sicher gegangen. Die Performance erinnert dabei ein wenig an ihre viel gelobte Darstellung der Offred in der Gesellschaftsdystopie The Handmaid’s Tale: verzweifelt, aber nicht hoffnungslos und immer kurz vor dem Implodieren.
Der Unsichtbare: Spannende Neuinterpretation des Klassikers
Der Unsichtbare ist vor allem ein spannender Thriller über den Leidensweg eines Stalkingopfers und dessen Rache. Und das würde theoretisch sogar ohne die Science-Fiction-(Sci-Fi-)Prämisse funktionieren. Die Inszenierung selbst erinnert hier und da an Horrorfilme à la Insidious, was vor allem an Musik und Schreckmomenten liegt.
Am Ende des Tages darf man auch hier nicht zu stark nach der Logik von Unsichtbarkeit fragen und muss vielleicht im dritten Akt ein oder zwei Effektschwächen wegblinzeln. Das stört allerdings das große Ganze nicht, auch dank Glanzleistung von Elisabeth Moss. Wer weiß, vielleicht erfährt das geplante Dark Universe auf diese Art und Weise einen neuen Impuls, minimalistisch und charakterorientiert: Chancen dafür gibt es laut Jason Blum auf jeden Fall.
Ein featured-Filmtipp für Thrillerfans und neugierige Horror-Aficionados.
Der Unsichtbare
OT: The Invisible Man
Genre: Thriller / Horror
Bundesstart: 27.02.2020
Laufzeit: 124 Minuten
FSK: Ab 16 Jahren
Regie: Leigh Whannell
Drehbuch: Leigh Whannell
Welche klassischen Gruselgestalten hätten einen minimalistischen Ansatz verdient? Wir freuen uns auf Deine Ideen in den Kommentaren.
Titelbild: © Universal Studios