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Iron Harvest im Test: Ein Strategiespiel, das Herzen zerreißt
Wir sind völlig baff: “Iron Harvest” ist ein Strategiespiel, dessen Kernstück nicht das Gameplay, sondern die unheimlich greifbare Geschichte ist. Warum unser Tester schon im Tutorial Tränen in den Augen hatte, erfährst Du im Test.
„Iron Harvest” ist ein RTS-Spiel (Real Time Strategy). Du baust Einheiten, um bestimmte Ressourcen einzunehmen, was Dir erlaubt, noch mehr Einheiten zu bauen. Entweder Du besiegst Deinen Gegner im Kampf oder Du beschützt wichtige Flaggen und holst Dir damit den Punktsieg. Gibt es schon, kenne ich schon – langweilig? Kein bisschen! Vor allem die Singleplayer-Kampagne, die Story und das Setting machen das Spiel besonders. Und wir meinen „So was gab es seit 15 Jahren nicht mehr”-besonders. Auf diesem Niveau bewegten sich zuletzt „Warcraft 3” und „StarCraft” – und davor „Command & Conquer”, dessen Remaster wir bereits ausführlich getestet haben.
Video: YouTube / Vodafone Deutschland
Iron Harvest: Polania, Sächsisches Imperium, Rusviet – die Fraktionen
„Iron Harvest” startet nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in einer alternativen Realität. Aber so richtig stabil ist der Frieden nicht, denn der Krieg entflammt erneut, und zwar zwischen drei Fraktionen: Polania, dem Sächsischen Imperium und der Rusviet. Natürlich sind diese Parteien an Polen, Deutschland und Russland beziehungsweise die Sowjetunion angelehnt. Elemente aus der echten Geschichte dieser Länder greift das Spiel auf. Im Verlauf der Kampagne schlüpfst Du in die Rolle jeder dieser Fraktionen.
- Die Republik Polania: Die Republik Polania ist ein großes, landwirtschaftliches Gebiet. Wahrscheinlich gehören die baltischen Staaten, die Ukraine und Weißrussland zu Polania dazu. Wie im echten Polen spielt die Geschichte des Landes eine große Rolle. Kein Wunder, dass die Kampagne von einer Rebellenarmee und Freiheitskämpfern erzählt.
- Das Kaiserreich Saxony: Hochentwickelte Städte, Einfluss und Macht, moderne Technologien – das ist das Sächsische Imperium. Der Kaiser will Frieden, aber seine Eliten sind anderer Meinung. Droht ein Aufstand?
- Die Rusviet: Gigantisch, mächtig und stark bevölkert. Die Armee von Rusviet ist so monströs wie das industrielle Potenzial. Aber die Macht des Zaren Nikolaj schwindet, denn die Bevölkerung ist zunehmend unzufrieden.
Die Story: Ein neuer Krieg – und unsere Helden mittendrin
Wie in der Realität bricht auch in der Zeit von “Iron Harvest” ein weiterer großer Krieg nach dem Ersten Weltkrieg aus. Wir spielen aus der Perspektive der drei Haupthelden Anna, Olga und Gunter von Duisburg. Diese drei Personen entwickeln sich in der Kampagne weiter und man will ständig wissen, was als nächstes passiert – wie in einer guten Serie eben „bingen” wir “Iron Harvest”. Wegen Spoilerefahr belassen wir es bei dieser Umschreibung.
Besonders gut aufgefallen ist die Erzählweise. Die Geschichte wird in ansehnlichen Ingame-Sequenzen und teilweise in gerenderten Videos vorangetrieben. Besonders stimmungsvoll sind die Retro-Kameraaufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg, die nachträglich mit Mechs aus dem Spiel versehen wurden. Auch diese Videos wirken erschreckend realistisch und tragen maßgeblich zur Immersion bei.
Video: YouTube / KING Art Games
Iron Harvest: Krieg mit imposanten Mechs
Bevor wir zum eigentlichen Gameplay kommen, möchten wir eines der großen Highlights des Spiels hervorheben. “Iron Harvest” kann bei der Zerstörung von Gebäuden punkten. Große Mechs können nämlich einfach durch Häuser marschieren, was dem Spieler ein süffisantes Lächeln auf die Lippen zaubert.
Und da wären wir schon bei dem ersten Kleinod, das “Iron Harvest” zum Unikat macht. Die riesigen mechanischen Kriegswaffen, die alleine ganze Infanteriegruppen auseinandernehmen. Und sie sind nicht nur mächtig, sondern verdammt cool gezeichnet: Die Arbeit des Konzeptkünstlers Jakub Różalski hat sich ausgezahlt, denn sein Werk erweitert das schwer industrielle Setting um ein Steampunk-Element – ohne dabei futuristisch zu wirken. Mit anderen Worten: Die Mechs passen wunderbar in die Spielwelt. Falls Dir das alles schon bekannt vorkommt, kennst Du wahrscheinlich das Brettspiel „Scythe”, auf dem „Iron Harvest” basiert.
Das ist nicht alles: Die Entwickler scheinen sich bei der Namensgebung und Integrität der Mechs richtig Mühe gegeben zu haben. Jeder Mech hat nämlich auch einen Rufnamen, wie beispielsweise „Śmiały”. Das ist Polnisch für „wagemutig”. Es handelt sich um ein wendiges Exemplar, das gut für das Auskundschaften der Map geeignet ist. Ein passender Name also, da Spähtrupps Gefahr laufen, von gegnerischen Einheiten überrascht zu werden.
Schönes Missionsdesign mit ordentlichem Gameplay – und KI-Schwächen
„Iron Harvest” spielt sich mit seinen Mechs ansonsten wie ein klassisches Echtzeit-Strategiespiel. Und die Entwickler führen Dich mit einer schönen Idee an das Gameplay heran: Im Tutorial werden Taktiken und Deckung in einer Schneeballschlacht erklärt.
So immersiv das auch wirkt, hier erkennt man auch leider bereits die kleinen Schwächen des Spiels. Die Wegfindung der Einheiten könnte etwas präziser sein und auch das in Deckung gehen klappt nicht immer auf Anhieb. Deine Einheiten halten nämlich deutlich mehr aus, wenn sie sich hinter Sandsäcken oder Mauern verstecken. Manchmal verhalten sich die Figuren aber einfach unlogisch und kassieren massiven Schaden, weil sie Umwege gehen, die eigentlich nicht nötig wären. Das erinnert etwas an die Wegfindungs-KI von „Command & Conquer”.
Die Wegfindungs-Kritik ist allerdings Jammern auf hohem Niveau. Auch wenn die Einheiten manchmal etwas doof sind, „Iron Harvest” kann Kämpfe gut inszenieren. Während der Missionen führst Du Angriffe aus, um bestimmte Einheiten zu retten, Du baust nicht selten eine eigene Basis, in der Du Soldaten oder Mechs rekrutierst und führst klassische “Schere-Stein-Papier”-Scharmützel mit Deckungsbonus. Das klappt sehr gut und macht Spaß. Ein “Company of Heroes” („CoH”) kann das aber ein bisschen besser. Dennoch sorgt das Missionsdesign für sehr viel Abwechslung und lässt keine Langeweile aufkommen.
Ressourcen sammeln und Einheiten aufleveln
Trotz allem Mech-Spaß: Das Rückenmark einer jeder Armee in “Iron Harvest” ist die ebenso vorhandene Infanterie, denn nur Soldaten können Ressourcen-Quellen einnehmen. Mit den Ressourcen „Eisen” und „Öl” kaufst Du Dir dann in der Basis riesige Mechs oder verbesserte Infanteristen. Die Rohstoffe bekommst Du entweder direkt aus entsprechenden Quellen auf der Karte oder Du findest sie in Kisten und Fässern, die auf der Map verstreut sind. Manche Einheiten besitzen besondere Fähigkeiten und können etwa Granaten werfen oder motivierende Worte sprechen, um einen Buff auf bestimmte Zeit zu bewirken.
Für etwas mehr Tiefe ist zudem durch zwei Mechaniken gesorgt: Auch Waffen besiegter Einheiten lassen sich einfach übernehmen. Sowohl die Soldaten als auch die Mechs gewinnen darüber hinaus mit der Zeit an Erfahrung, wodurch sie im Rang aufsteigen und stärker werden. Auch dieses Element gab es schon in “Company of Heroes”. Insgesamt werten diese Features das Gameplay auf und ermöglichen Dir, besonders starke Einheiten zu züchten.
So läuft der Multiplayer
Um Dich im Multiplayer durchzusetzen, besetzt Du Ressourcen, verschanzt Soldaten in Gebäuden und lässt Einheiten nach dem „Stein-Schere-Papier”-Prinzip gegeneinander antreten – been there, done that. Aber dann kommen wieder die Mechs ins Spiel, um dem Gameplay den nötigen Pfiff zu verleihen. Sobald der riesige (und teure) „Tur”-Mech über die Map stampft, kann man es kaum erwarten, bis er seine riesigen Kanonen auf die Einheiten Deines Gegenspielers abfeuert.
So richtig taktisch wird es aber nicht. Dafür sind die Trefferzonen der Mechs zu simpel. Es gibt im Gegensatz zu “CoH” keine Trefferzonen, die mehr oder weniger Schaden verursachen oder dazu führen, dass bestimmte Teile abfallen. Lediglich Treffer in den hinteren Teil der Mechs richten mehr Schaden an. So hebt sich der (spaßige) Multiplayer nur wenig von seinen Konkurrenten ab.
Der Sound von Iron Harvest: „Nativ” ist das Zauberwort
“Iron Harvest” ist kein Fastfood-Spiel, was auch die Klangwelt des Spiels unterstreicht. Hier erwartet Dich nämlich eine enorme atmosphärische Dichte. Das fängt damit an, dass Du in den Spracheinstellungen die Option “Nativ” wählen kannst. So sprechen die Protagonisten in ihrer eigenen Landessprache. Die Untertitel kannst Du trotzdem frei wählen. Wir empfehlen “Iron Havest” so zu spielen, weil ansonsten viel Atmosphäre wegfällt.
Apropos Atmosphäre: Der Soundtrack überzeugt an allen Stellen, die Soundeffekte sind imposant (stampfende Mechs) und auch die Sprecher können sich hören lassen. Abgesehen von den Kinderstimmen im Tutorial – die nerven etwas.
So viel Geschichte steckt in der alternativen Zeitlinie
Nicht nur die nativen Sprachausgaben sind einen kleinen Applaus wert: Wie viel Mühe sich die Entwickler bei der Inszenierung gegeben hat, zeigen in der Story die Parallelen zur Realität. Wir werfen zum Abschluss einen tieferen Blick auf die „Geschichte in der Geschichte”, denn diese bedient sich an wahren Begebenheiten. Die Großmächte Kaiserreich Saxony und die Rusviet haben den Ersten Weltkrieg (wie in der Realität) verloren, Polonia konnten sie trotzdem in sich einverleiben – was in Wahrheit erst viel später geschah. Historiker erinnern sich an den Ribbentrop-Molotov-Pakt, also den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, der die Teilung Polens implizierte. Dieser fand aber erst zu Beginn des Zweiten Weltkrieg statt.
Ein weiteres Beispiel: Ein Teil der polnischen Armee zog im Zweiten Weltkrieg über den Iran nach Europa. Auf dem Weg fanden Artilleriesoldaten des Zweiten Polnischen Korps einen kleinen Bären. Sie tauften ihn Wojtek und zogen ihn liebevoll auf. Der Bär ist das einzige Tier, das einen echten Rang im polnischen Militär erhielt – völlig zurecht. Schließlich half der Bär seiner Kompanie, wo er nur konnte. In „Iron Harvest” taucht der tierische Begleiter schon am Anfang auf: Bereits im Tutorial nimmt unsere Heldin Anna Kos einen kleinen Bären mit und zieht ihn auf. An dieser Stelle hatte ich beim Test dann noch ein kleines Tränchen im Auge.
Durch diese und viele weitere Elemente fügt sich das Puzzle aus historischen Fakten und fiktivem Industrial-Punk zu einem unheimlich glaubwürdigen Mosaik zusammen und stellt ein überzeugendes Gesamtbild her. Nicht zuletzt durch die nachvollziehbare Zusammenstellung von Charakteren. Annas Vater hält nichts davon, seinen Sohn Janek in den Krieg zu schicken. Für Janeks Onkel hingegen gibt es keine andere Wahl: Der Kampf um Frieden und Freiheit ist wichtiger, als das Leben des Einzelnen. Janek ist sich nicht sicher, aber er macht, was er intuitiv für richtig hält. Er zieht in den Krieg, um sein Vaterland und seine Familie zu verteidigen.
Dieses Denkmuster und der Konflikt darin prägte die Kultur des Messianismus in Polen: “Bóg, Honor i Ojczyzna” („Gott, Ehre, Vaterland”) war ein Leitspruch, der eine ganze Generation beeinflusste. Die Bewahrung der kulturellen Identität Polens galt damals als oberste Priorität, da die mit dem Ersten Weltkrieg (nach 123 Jahren der Okkupation) erkämpfte Freiheit durchaus brüchig war. Diesen Geist konnten die Storywriter von “Iron Harvest” erschreckend gut wiedergeben.
Iron Harvest: Das Fazit unseres Tests
Allein die Story von “Iron Harvest” ist Grund genug, um das Spiel zu kaufen. Wer auf Strategiespiele steht, die auch noch über eine starke Geschichte (in der Geschichte) verfügen, sollte hier unbedingt zugreifen. Es ist auch das erste Spiel dieser Art, das es geschafft hat, gutes Gameplay mit extrem atmosphärischer Dichte zu vereinen.
Auch die verschiedenen Multiplayer-Modi machen Spaß. Wobei sich hier die kleinen Mankos auftun. Die Wegfindung der Einheiten könnte besser sein und die Mechs könnten über ausführlichere Schadensmodelle verfügen. Aber das sind, wie gesagt, nur minimale Kerben in der Rüstung. Insgesamt ist das Spiel aber richtig gut. Ein Fest für Echtzeit-Strategie-Fans, Historiker und Liebhaber guter Geschichten!
Hast Du „Iron Harvest” schon gespielt? Wie findest Du das Game? Schreib uns gerne einen Kommentar.