Female
Femtech: Die nächste große Revolution in der Health-Branche
2016 gab es noch keinen Namen für diesen Industriezweig. Für dieses Jahr wird Firmen, die sich mit Frauengesundheit beschäftigen, eine Milliarde US-Dollar Investitionen prognostiziert. Davon profitieren Frauen doppelt: als Gründerinnen und Konsumentinnen.
Aus der Medizin sind Frauen nicht wegzudenken. Als Heilerinnen, Pflegerinnen und Ärztinnen leisten sie schon immer einen wichtigen Beitrag. Ihrer eigenen Gesundheit wurde eher weniger Beachtung geschenkt, doch das ändert sich gerade, und verantwortlich sind dafür vor allem die Frauen selbst. Unter dem Schlagwort Femtech – eine Zusammensetzung aus den englischen Begriffen female und technology – bieten Unternehmerinnen immer öfter innovative Software, Produkte und Dienstleistungen an mit dem Ziel, die Gesundheit von Frauen zu verbessern. Und das mit Erfolg: Analysten sehen in Femtech die nächste große Revolution in der Health-Branche. 2019 könnte zum Rekordjahr werden. Eine Milliarde US-Dollar an Investitionen prognostiziert das Marktforschungsunternehmen Frost & Sullivan. 2025 sollen es schon 50 Milliarden US-Dollar sein. Dabei hatte die Branche bis 2016 nicht einmal einen Namen.
Mehr als 200 Start-ups beschäftigen sich heute weltweit mit Femtech
Erfunden hat das Wort Femtech damals die Dänin Ida Tin. Auf einer Technologiemesse in San Francisco war die Erfinderin und Unternehmerin überrascht, wie verloren Aussteller aus dem Bereich wirkten, in dem sie selbst arbeitete. „Ich wusste sofort, dass der Markt definiert werden muss, damit Produkte für die Gesundheit von Frauen ernst genommen werden können“, erinnert sich die heute 40-Jährige. „Daher schlug ich vor, uns als Femtech-Unternehmen zu bezeichnen.“ Heute zählen mehr als 200 Start-ups auf der ganzen Welt dazu. Viele bieten Produkte und Lösungen rund um Menstruation, Sexualität, Fruchtbarkeitstracking und Schwangerschaft an. Aber auch psychische Probleme, die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger, Brustkrebs-Früherkennung und der Umgang mit chronischen Krankheiten spielen eine Rolle.
Die Zyklus-App „Clue“ wird heute von 10 Millionen Menschen weltweit genutzt
Dass die Gründerinnen die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe genau kennen, weil sie selbst dazu zählen, ist einer der Gründe für den Erfolg. Der andere ist der wirtschaftliche Einfluss von Frauen. Fast 30 Prozent mehr geben sie im Vergleich zu Männern für ihre Gesundheit aus, drei Viertel aller Frauen nutzen dabei regelmäßig digitale Tools. Das macht Femtech-Unternehmen für Investoren interessant, besonders wenn an deren Spitze selbst Frauen stehen wie bei bei den Riskokapitalgebern „Astarte Ventures“ oder „Harbinger Ventures”. Wo Gründerinnen früher nur männlichen Risikokapitalgebern gegenüberstanden, treffen sie jetzt vermehrt auf Frauen, denen sie den Nutzen ihrer Produkte nicht umständlich erklären müssen, gerade wenn es um die weibliche Fruchtbarkeit und die Periode geht – und das tut es bei den Produkten der Femtech-Branche oft, auch beim wohl bekanntesten Femtech-Unternehmen „Clue“. Seine Zyklus-App nutzen rund 10 Millionen Menschen in über 190 Ländern. Fast 30 Millionen Dollar hat das Unternehmen dafür seit 2013 von Investoren eingesammelt, notiert die Datenbank Crunchbase.
Menstruation, Endometriose, Verhütung: lange von der Industrie ignoriert, heute eine Milliardengelegenheit mit Multi-Channel-Strategie
Auch „Next Gen Jane“ setzt bei der weiblichen Menstruation an, aber zum Zweck der Früherkennung. Das Unternehmen hat eine einfache Testmethode für Endometriose entwickelt. 200 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter sind weltweit von der Unterleibserkrankung betroffen. Geht es nach Ridhi Tariyal – Biologin und Gründerin von „Next Gen Jane“ –, müssen Frauen nur ein Testkit mit einem speziellen Tampon nach dem Gebrauch zurückschicken, um zu erfahren, ob bei ihnen ein Risiko besteht. Es wäre das erste Mal, dass betroffene Frauen sich für die Untersuchung keinem Eingriff unterziehen müssten. Experten halten die Erfindung für revolutionär, noch ist sie aber nicht für den Markt zugelassen.
Ein Start-up wie „Natural Cycles“ ist da schon weiter. 2017 wurde es vom TÜV als erste Verhütungs-App weltweit zertifiziert. Obwohl es zuletzt Kritik an der Zuverlässigkeit des Programms gab, das von der schwedischen Teilchenphysikerin Elina Berglund und ihrem Mann entwickelt wurde: Bei Frauen um die 30 bleibt die App sehr beliebt. Auch „Elvie“ ist längst eine Femtech-Größe. Bekannt wurde das Unternehmen aus London mit einem Beckenbodentraining-Computer, der sich über eine App steuern lässt. Inzwischen ist eine Brustpumpe dazugekommen. Stillende Mütter können sie freihändig und ohne Kabel und Schläuche bedienen, sogar unterwegs, denn die flüsterleise Pumpe passt in Still-BHs. Beim Verkaufsstart standen mehrere Tausend Frauen in Großbritannien und den USA auf der Warteliste, trotz der circa 260 Euro, die die Pumpe kostet. Fast genauso teuer ist das Armband, das „Ava“ anbietet. Das Produkt des Schweizer-kalifornischen Start-ups liefert Trägerinnen in Echtzeit Daten zu Fruchtbarkeit, ihrer allgemeinen Gesundheit oder einer bestehenden Schwangerschaft. 20.000 Frauen seien mit Hilfe des Trackers schwanger geworden, wirbt das Unternehmen, jeden Tag kämen 50 hinzu. Wegen der großen Nachfrage verkauft „Ava“ sein Armband inzwischen bei Handelsgrößen wie Otto, Amorelie und Mediamarkt, was den Absatz weiter ankurbeln dürfte.
„Es ist eine Milliardengelegenheit“, so sieht es US-Investorin Tracy Warren, wenn es um Femtech-Firmen geht, die sie regelmäßig mit Geld versorgt. Lea von Bidder, Co-Gründerin von „Ava“, hat eine etwas andere Perspektive auf die Branche: „Was wir machen, hat mit Empowerment zu tun.“ Am Ende stimmt beides.