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F-LANE Interview: Warum wir mehr Social-Start-ups und Female Empowerment brauchen
Soziale Missstände werden in Krisenzeiten deutlicher denn je. Deshalb fördert das Vodafone Institut mit dem F-LANE-Accelerator auch im ersten Corona-Jahr internationale Start-ups, bei denen der Social Impact im Fokus steht. Wir haben mit Inger Paus, Geschäftsführerin des Vodafone Instituts, und Saskia Bruysten vom neuen F-LANE-Partner „Yunus Social Business“ über die virtuelle Umsetzung des Programms gesprochen und erfahren, warum wir gerade jetzt Förderprogramme wie F-LANE brauchen.
Mit dem F-LANE Accelerator fördert das Vodafone Institut internationale Unternehmer:innen, die soziale Probleme mit digitalen Geschäftsideen lösen. Der Fokus liegt dabei auf technischen Innovationen von und für Frauen. Nach vier erfolgreichen Runden zeichnete sich im Frühjahr ab, dass die diesjährige F-LANE-Ausgabe nicht wie gewohnt stattfinden kann. Das Förderprogramm ausfallen zu lassen, kam für das Vodafone Institut aus guten Gründen trotzdem nicht in Frage.
Zwei Partner mit einer Mission: Social Business gegen soziale Missstände
„Wir sehen überall auf der Welt, dass Frauen und Mädchen überdurchschnittlich von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie betroffen sind – nicht nur gesundheitlich, sondern auch was häusliche Gewalt und die wirtschaftliche Teilhabe angeht“, so Inger Paus. „Gerade jetzt ist Female Empowerment also wichtiger denn je. Wir brauchen jetzt smarte Lösungen gegen diese strukturellen Ungleichheiten.“ So fiel die Entscheidung, das F-LANE-Förderprogramm in diesem Jahr virtuell umzusetzen.
Mit Yunus Social Business (YSB) hatte sich das Vodafone Institut einen neuen Partner ins Boot geholt, der nicht nur langjährige Erfahrungen mit virtuellen Settings hat, sondern vor allem dasselbe Mindset wie F-LANE verfolgt – mit dem Ziel, soziale Missstände aufzuheben und Technologien so einsetzen, dass möglichst viele Menschen davon profitieren.
„Wir brauchen Firmen, die nicht nur Geld scheffeln, sondern soziale oder ökologische Probleme lösen“, bringt Yunus-Mitbegründerin Saskia Bruysten auf den Punkt. „Social Businesses sind die Geschäftsmodelle der Zukunft.“ Viele dieser Unternehmen stehen allerdings auf wackligen Füßen.
Mehr Investments in Social Start-ups – doch das Geld kommt selten an
„Durch die Coronakrise haben es derzeit viele Firmen schwer. Die meisten Social-Start-ups sind ‚zarte Pflänzchen‘, die wir jetzt vor dem ‚Valley of Death‘ bewahren müssen“, so Inger Paus. Saskia Bruysten pflichtet ihr bei: „Die Umsätze sind teils bis zu 100 Prozent eingebrochen. Gerade in Entwicklungsländern, die als Markt eine signifikanten Zielgruppe unserer F-LANE-Teilnehmer:innen sind, gibt es keine Rettungsprogramme wie in Deutschland.“ Während die Start-ups aus dem Yunus-Netzwerk mit einer Art Kurzarbeitergeld aufgefangen werden konnten, ist derzeit ein Großteil der weltweiten Social Businesses auf sich allein gestellt.
„Allerdings beobachten wir auch in der Krise einen grundsätzlich positiven Trend: Es fließt mehr Kapital in sogenannte ESG-Investments (Environment, Social, Governance), also in Firmen, bei denen das Soziale und Ökologische eine übergeordnete Rolle spielt“, so Bruysten. Diese erfreuliche Tendenz gehe darauf zurück, dass immer mehr Investoren den Wert und die Zukunftsfähigkeit von Social Start-ups erkennen. „Das Problem ist, dass die einzelnen Unternehmen von diesem Geld nicht viel sehen. Es gibt eine Gap zwischen den großen Investoren, die Millionen in den Markt kippen wollen, und den kleinen Firmen, die soziale Probleme durch ihr Geschäftsmodell lösen.“
Inger Paus ergänzt: „Was im Moment fehlt, sind größere Intermediäre wie F-LANE, die Zugang zu Investoren und finanziellen Mitteln ermöglichen. Es braucht Programme und Mechanismen, die den Finanzmarkt und den Bedarf der Unternehmen zusammenzubringen. Yunus Social Business ist da definitiv ein Frontrunner. Aber auch die Politik muss hier tätig werden, wenn wir das Problem auf struktureller Ebene lösen wollen.“
„Theory of Change“: Gebt den Frauen das Kommando
Yunus Social Business möchte solche strukturellen Veränderungen voranbringen und die Wirtschaftswelt nachhaltig sozialer machen. Der Mitgründer von Bruysten ist Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus, der mit seiner Grameen Bank Mikrokredite an arme Frauen gibt. „Mit diesen Krediten werden Frauen befähigt, ihr eigenes kleines Geschäft aufzubauen und sich selbst aus der Armut zu helfen“, erklärt Bruysten.
Das Konzept geht auf: Die Mikrokredite von Yunus haben eine fast 100-prozentige Rückzahlungsquote und geben Menschen in wirtschaftlich schwachen Regionen neue Lebensperspektiven. „Wenn diese Frauen im Haushalt das Geld in der Hand haben, sorgt das für sehr viel stärkeren Impact in ihren Familien und Communities.“
Genau diese „Theory of Change“ teilt auch Vodafone. „Der positive Einfluss von Frauen, die befähigt werden, finanzielle Geschäfte zu betreiben, ist enorm hoch. Es verbessert die Lebenssituation in ihrem gesamten Umfeld, weil sie sich zum Beispiel um die Bildung der Kinder und die Gesundheitsversorgung kümmern“, erklärt Paus.
Female Empowerment hat es derzeit besonders schwer
Aber wie viel Platz hat Female Empowerment in einer Zeit, in der eine globale Pandemie die Wirtschaftswelt fordert und verändert? Saskia Bruysten muss feststellen: „Generell geht weltweit nur ein Bruchteil des Risikokapitals an Frauen-Businesses. Und 2020 ist dieser Trend leider negativ. Stattdessen tendieren wir wieder zu ‚traditionellen‘ Rollenbildern. Auch Deutschland ist sehr stabilitäts- und sicherheitsorientiert und besinnt sich jetzt auf das Altbekannte – und das sind eben weiße, männliche Stereotypen.“
Auch virtuelle Arbeitsumgebungen, die momentan allgegenwärtig sind, tragen dazu bei, dass wir in Sachen Female Empowerment derzeit keine Fortschritte machen. Inger Paus erklärt: „Es mehren sich die Beobachtungen und von Studien untermauerte Erkenntnisse, dass Frauen in dieser rein virtuellen Welt, die vor allem auf Transaktionen fokussiert ist, benachteiligt sind. Denn was im virtuellen Kontext wegfällt, ist die Beziehungsebene.“
Gerade auf dieser Ebene würden Frauen mit ihren sozialen Fähigkeiten maßgeblich zur Arbeitszufriedenheit und Motivation der Teams beitragen. „Damit Frauen im Management und Geschäftsleben nicht völlig vom Radar verschwinden, geht es jetzt darum, ihre sozialen Fähigkeiten ein Stück weit ins Virtuelle zu übertragen“, ist Paus überzeugt. Dass es auch im Digitalen durchaus möglich ist, soziale Beziehungen und Communities aufzubauen, hat die diesjährige Ausgabe von F-LANE bewiesen.
Persönliche Beziehungen im virtuellen Raum: „Das ist Arbeit“
Für die Koordination und Ausarbeitung des virtuellen F-LANE-Programms konnte das Vodafone Institut die erprobte Plattform von Yunus nutzen. Trotz dieser praktischen Unterstützung sahen sich die Organisatoren mit einer Reihe neuer Herausforderungen konfrontiert. Immerhin hatte sich F-LANE bislang als Präsenzprogramm bewährt, das von persönlichen Treffen, dem direkten Austausch und Community-Building lebt.
„All das auch im virtuellen Rahmen zu ermöglichen, war ein großes Stück Arbeit“, so Paus. „Das Förderprogramm lief über sieben Wochen und wir haben in den Monaten von Corona wohl alle gemerkt: Es ist schwierig, sein Energielevel aufrecht zu erhalten, wenn man die ganze Zeit nur in Videokonferenzen hängt. Wir mussten uns überlegen, mit welchem Mix an Formaten und Tools wir diese Energie aufrechterhalten, die Leute trotzdem motivieren und wettmachen, dass sich die Frauen nicht persönlich kennenlernen können.“
Yunus Social Business ist die virtuelle Arbeit mit internationalen Teams bereits gewohnt und hatte einige Tricks parat, um im virtuellen Setting eine vertrauensvolle Atmosphäre und Nähe zu schaffen. „Wir starten jedes Meeting mit Fun Facts oder Anekdoten über uns, um das Eis zu brechen. Wenn wir etwas Persönliches von uns teilen, sind wir schon auf einer ganz anderen Kommunikations- und Vertrauensebene. Das hat auch bei den F-LANE-Teilnehmern gut geklappt und endete damit, dass während der Keynote-Speech alle virtuell getanzt haben“, resümiert Saskia Bruysten.
F-LANE Virtual: Eine Chance für mehr Diversität und Inklusion
Ohne physischen Rahmen bot das virtuelle Setting für F-LANE auch viele neue Möglichkeiten, insbesondere in der Reichweite und Teilnehmerzahl. Dass dies eine sehr gute Entscheidung war, machte sich schon an der neuen Rekordzahl von 455 Bewerber:innen bemerkbar. „Statt fünf Teams konnten wir in diesem Jahr neun Finalist:innen ins Programm aufnehmen – und mit gleichem Budget doppelten Impact fördern“, so Paus. „Die virtuelle Umsetzung bot uns außerdem die Möglichkeit, geografisch diverser zu werden. Es sind jetzt zum Beispiel auch Teams aus Südamerika dabei, die wirklich tolle Geschäftsmodelle entwickelt haben. Es war eine Chance für mehr Inklusion.“
Saskia Bruysten ergänzt: „Im Endeffekt ist F-LANE nicht nur ein Empowerment-Programm für Frauen, sondern ein Diversity-Accelerator. Die Teilnehmer:innen haben ganz unterschiedliche Hintergründe und kommen aus der ganzen Welt. Das ging bei F-LANE zwar vorher auch. Der große Unterschied bestand jetzt aber darin, dass die Unternehmer:innen in ihrem Land an ihrem Business weiterarbeiten konnten. Sie waren nicht komplett aus ihrem Arbeitsalltag herausgerissen und konnten das, was sie während des Programms gelernt haben, direkt implementieren.“
Maßgeschneiderter Support mit neuem Mentoren-Programm
Die räumliche Unabhängigkeit bot nicht nur den Teams mehr Flexibilität, sondern auch den Mentoren. So konnten neben Experten von Vodafone in diesem Jahr auch externe Coaches aus den internationalen Netzwerken der Partner rekrutiert werden. „Es wäre ungleich schwieriger gewesen, wenn diese Mentoren irgendwo hätten hinreisen müssen, um die Teams zu coachen“, so Inger Paus. „Jetzt konnten wir für alle Teams jederzeit den passenden Ansprechpartner finden und das ganze Programm noch besser maßschneidern.“
Saskia Bruysten führt aus: „Es gab für jede Unternehmerin jeweils einen Lead-Mentoren. Er hat sehr eng mit den Teams zusammengearbeitet, um auf ihre persönlichen und individuellen Bedürfnisse einzugehen. Er konnte herausfinden, was die Unternehmerin gerade braucht, wo es hakt und welche Themen sie beschäftigen. Je nachdem, was sich dabei herausstellte, konnten dann die passenden Topic-Mentoren gesucht werden, die zum Beispiel beim Marketing oder der Tech-Infrastruktur weiterhelfen konnten.“
Das wichtigste Learning: Start-up-Förderung geht auch virtuell
Die vergangenen Monate haben allen Beteiligten gezeigt, dass Förderprogramme wie F-LANE auch sehr gut im virtuellen Format funktionieren können. „Ich denke, dass wir auch in einer Post-Corona-Welt mehr solcher Angebote kreieren werden, bei denen es dann vielleicht ein, zwei physische Treffen gibt. Grundsätzlich halte ich das virtuelle Format für sehr sinnvoll, weil es eben viele Vorteile und Chancen beinhaltet“, fasst die Yunus-Mitbegründerin zusammen.
Inger Paus sieht es ähnlich: „Das Potenzial virtueller oder halbvirtueller Formate ist definitiv viel höher. Es wird in Zukunft auf die richtige Mischung ankommen aus virtuellen und physischen Angeboten. Es braucht allerdings auch ein größeres Investment an Zeit und Arbeit, um eine persönliche Ebene zu schaffen.“
Dass F-LANE in diesem Jahr stattfinden konnte und auch virtuell so gut geklappt hat, lag nicht zuletzt daran, dass Vodafone als internationaler Konzern hinter dem Förderprogramm steht. Die Organisatoren und Teams erhielten starken Rückenwind aus den obersten Management-Etagen, insbesondere von Vodafone Personal-Chefin Bettina Karsch:
„Die Stärkung von Diversität in der Technologie Branche hat für Vodafone, wie auch für mich persönlich, höchste Priorität. F-LANE ist ein beeindruckendes Programm, das zeigt, was für Synergien entstehen können, wenn sich großartige Gründerinnen mit engagierten Vodafone Mentorinnen und Mentoren verbinden und gemeinsam sozialen Wandel vorantreiben. Ein Netzwerk von Vorbildern zu fördern, die ihrer Leidenschaft folgen und mit Technologie Gutes bewirken wollen – das ist für mich eine wunderbare Möglichkeit, den Vodafone Purpose zu leben.“
Auch wenn es gerade „en vouge“ sei, Frauen und Gründerinnen zu fördern, ist F-LANE für Vodafone kein Selbstzweck, so Inger Paus. „Wir wissen, dass Frauen genau die richtigen sind, um die sozialen und ökologischen Aspekte im Tech-Bereich so zu handhaben, dass viel mehr Leute davon profitieren. Je mehr Frauen und je mehr Diversity wir in die Tech-Branche kriegen, desto besser.“
Zu Yunus Social Business
Yunus Social Business wurde 2011 vom Namensgeber Muhammad Yunus und Saskia Buysten gegründet. Die Organisation finanziert und unterstützt Sozialunternehmen, die Armutsprobleme in Entwicklungsländern angehen. Darüber hinaus berät YSB Konzerne dabei, ihre Kerngeschäfte zu nutzen, um die drängendsten gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Für seine Idee von Mikrokrediten und den Gedanken von Social Businesses wurde Muhammed Yunus 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Zu F-LANE
Mit F-LANE startete das Vodafone Institut für Gesellschaft und Kommunikation 2016 Europas ersten Accelerator mit Schwerpunkt auf Social-Impact-Start-ups, die mit technologischen Lösungen Frauen stärken. Zu den Gründungspartnern gehört der Impact Hub Berlin, der in erster Linie als Community-Partner agiert und Zugang zu seinem internationalen Netzwerk bietet. Die Social Entrepreneurship Akademie (SEA) komplettierte das Content- und Coaching-Angebot von F-LANE mit Workshops und Dozenten. Neben Yunus Social Business ergänzt seit diesem Jahr die Initiative WLounge das F-LANE-Netzwerk, welches zusätzliche Kontakte zu Mentoren und Investoren bot.
Kennst Du Gründer:innen, die mit ihrer Geschäftsidee soziale Probleme lösen und den Social Impact in den Fokus rücken? Wir freuen uns auf Deinen Kommentar!