Besser altern mit Apps
Women in Tech
Frau zeigt Stop-Zeichen

Besser altern mit Apps

Die Dig­i­tal­isierung birgt enormes Poten­zial, die Pflege alter Men­schen zu verbessern und neu zu organ­isieren. Zwei Grün­derin­nen, deren Ideen schon dazu beitragen

Ein Video hat wahrschein­lich fast jed­er Besitzer eines Smart­phones schon ein­mal aufgenom­men. Die Film­chen dienen als Erin­nerun­gen, sie lan­den in sozialen Net­zw­erken oder der Fam­i­lien-What­sApp-Gruppe. Diana Hein­richs aber hat ein noch viel größeres Poten­zial der Kam­era ent­deckt: Sie will sie nutzen, um die Altenpflege ein­fach­er und bess­er zu machen.

Stürzen im Alter vorbeugen

Ihre App heißt Lin­dera, und sie analysiert, wie sich jemand bewegt, um vorherzusagen, wie hoch das Risiko eines Sturzes für die gefilmte Per­son ist. Denn im Alter nimmt die Trittsicher­heit ab, jedes Jahr stürzen in Deutsch­land zwis­chen drei und vier Mil­lio­nen Über-65-Jährige. Jed­er Zweite über 80 Jahre ist schon ein­mal gefall­en. So ein Mal­heur an der Tep­pichkante kann für alte Men­schen schlimme Fol­gen haben. Nicht sel­ten fol­gt auf den Sturz der Umzug ins Pflege­heim. Alte Knochen wach­sen nicht mehr so schnell zusam­men, nach ein­er Ver­let­zung wieder auf die Beine zu kom­men dauert länger. Die Patien­ten, ihre Ange­höri­gen, ihre Ärzte, die Altenpflegerin­nen und Altenpfleger und auch die Krankenkassen haben darum alle ein Inter­esse daran, Stürze zu ver­mei­den. Zu ermit­teln, wie wahrschein­lich jemand hin­fällt, ist in der Altenpflege ein aufwendi­ger Prozess. Eine Fachkraft beobachtet den Senior beim Gehen, macht sich Noti­zen und schätzt indi­vidu­ell das Risiko ein. Hin­ter­her muss die Bew­er­tung noch in den Com­put­er eingetippt wer­den. Mehr als eine Stunde kann so eine Mobil­ität­s­analyse dauern. Viel Zeit in einem Sek­tor wie der Altenpflege, wo jed­er Hand­griff abgerech­net wird und es seit Jahren an Fachkräften mangelt.

Die App, die Hein­richs 2017 gegrün­detes Unternehmen entwick­elt hat, beschle­u­nigt das Prozedere. Anhand eines etwa 30 Sekun­den lan­gen Videos analysiert eine kün­stliche Intel­li­genz die Bewe­gun­gen der gefilmten Per­son. Zusät­zlich füllen Nutzer einen Frage­bo­gen zu ihrem all­ge­meinen Gesund­heit­szu­s­tand aus. So kann Lin­dera die Wahrschein­lichkeit eines Sturzes in ein­er Prozentzahl angeben und Tipps zur Ver­mei­dung geben.

Eine überzeugende Technik

Als Hein­richs anf­ing, die Idee für Lin­dera vorzustellen, hörte sie oft: Das ist unmöglich. Man bräuchte 3-D-Auf­nah­men, um eine so genaue Analyse anzufer­ti­gen. Um drei­di­men­sion­al aufzunehmen, filmt man nor­maler­weise mit mehreren Kam­eras. Lin­dera reichen die Aufze­ich­nun­gen des Smart­phones, die kün­stliche Intel­li­genz rech­net sie dig­i­tal um. „Die Genauigkeit unser­er Analy­sen schlägt den Gold­stan­dard“, sagt Hein­richs. Ein­fach­er aus­ge­drückt: Sie sind extrem genau.

In der Altenpflege gibt es viel zu verbessern: das Anse­hen, die Arbeits­be­din­gun­gen für Mitar­beit­er, die Qual­ität. Die Dig­i­tal­isierung kann ein Werkzeug für Umbrüche in dem Sek­tor sein – das haben in Deutsch­land inzwis­chen einige Start-ups erkan­nt. Der Markt kön­nte riesig wer­den. „Wir müssen uns entschei­den, ob wir unsere europäis­che DNA im Gesund­heitssek­tor bewahren wollen oder ob wir das Seg­ment Google über­lassen“, sagt Hein­richs. Sie hat darum große Pläne für Lin­dera: Das Unternehmen soll zu einem zweit­en SAP wer­den, einem deutschen IT-Unternehmen von Wel­trang. Momen­tan hat das Start-up rund 20 Mitar­beit­er und arbeit­et schon mit eini­gen Krankenkassen in Deutsch­land zusam­men. Hein­richs und ihr Team beschränken sich aber nicht auf den heimis­chen Markt. In Brasilien wird Lin­dera ger­ade einge­führt, ab 2020 soll die App auch in Frankre­ich einge­set­zt wer­den, und die Grün­derin trifft häu­fig Kassen­vertreter aus aller Welt.

Hein­richs ist 34 Jahre alt – kein typ­is­ches Alter, um sich mit der Altenpflege zu beschäfti­gen, wenn man nicht in der Branche arbeit­et. „In den 20ern und 30ern denkt man darüber nicht viel nach“, sagt sie, „bis die Eltern oder die Großel­tern Unter­stützung brauchen.“

Alltagsunterstützung für Alte

So war es bei Anto­nia Albert. Ihre Groß­mut­ter brauchte 2014 zunehmend mehr Hil­fe im All­t­ag. Doch nie­mand aus der Fam­i­lie wohnte in ihrer Nähe, und es war sehr kom­pliziert, jemand Passenden für kleine Auf­gaben zu find­en, wie Einkäufe oder einen kurzen Check, ob alle Herd­plat­ten aus­geschal­tet sind. Ein weitver­bre­it­etes Prob­lem: Eltern und Kinder leben in ver­schiede­nen Städten, Hun­derte Kilo­me­ter tren­nen sie mitunter. „All­t­ag­sun­ter­stützung muss auch aus der Ferne organ­isier­bar sein“, find­et Albert. Die 30-Jährige hat­te nie vom eige­nen Unternehmen geträumt. „Ich kon­nte nie nachvol­lziehen, warum Leute unbe­d­ingt grün­den wollen. Vor allem, wenn sie keine Idee haben“, sagt sie. Nun ist sie selb­st Start-up-Unternehmerin.

Das Schick­sal ihrer Oma hat ihr die Idee für Care­ship gebracht. Die Plat­tform, die sie gemein­sam mit ihrem Brud­er gegrün­det hat, ver­mit­telt Hil­fs­bere­ite an Senioren, die Unter­stützung im All­t­ag brauchen: einkaufen gehen, kochen, aber auch mal ein gemein­samer Spazier­gang oder ein­fach nur zusam­men­sitzen und quatschen. „Pflege ist Beziehungsar­beit“, sagt Albert, die ihr Unternehmen als Ergänzung zur Arbeit der Pflege­di­en­ste sieht. Ihre „All­t­agshelfer“, wie sie die selb­st­ständi­gen Helfer nen­nt, übernehmen keine medi­zinis­che Ver­sorgung, dafür haben sie mehr Zeit, denn abgerech­net wird stun­den­weise. Care­ship bekommt eine Pro­vi­sion. Noch sei die Pflege in Deutsch­land sehr „offline“, sagt Albert. Das Dig­i­tale-Ver­sorgung-Gesetz, das unter anderem vor­sieht, dass Ärzte Gesund­heits-Apps ver­schreiben, und den Date­naus­tausch zwis­chen Ärzten, Kranken­häusern und Kassen verbessern soll, sei ein erster Schritt. Mehr aber nicht. „Was zählt, ist die Umset­zung. Das ist wie bei einem Start-up: Die Idee macht auch nur ein Prozent des Erfol­gs aus“, sagt Albert. Grün­derin­nen wie sie und Diana Hein­richs arbeit­en daran, dass die Dig­i­tal­isierung der Pflege in Deutsch­land nicht nur eine fixe Idee bleibt.

Das könnte Dich auch interessieren