Digital Life
Sharing is caring – Wie geteiltes Wissen die Welt optimiert
Der Trend, dass sich Menschen mithilfe ihrer Mobiltelefone „vermessen”, ist ein wichtiger Trend. Denn er bringt Erkenntnisgewinn – und das nicht nur für die Nutzer selbst.
Zahlen lügen nicht und mit einer soliden Wissensbasis lassen sich einfach bessere Entscheidungen treffen. Wenn meine App anzeigt, dass ich jeden Tag viel weniger schlafe als gedacht, dann gehe ich daraufhin vielleicht ein Stündchen früher schlafen. Aber diese ganzen Daten nützen wohl nur mir alleine. Oder kann ich mit meinen eigenen Messdaten die Welt zu einem besseren Ort machen?
Der unabhängige Strategieberater in Sachen Gesundheit, Maarten den Braber, ist davon fest überzeugt. “Erkenntnisse, die sich auf Deine Daten stützen, können für eine kleine Gruppe anderer Menschen in einer vergleichbaren Situation sehr nützlich sein.” Den Braber ist ‚Quantified Self’-Experte und Veranstalter der europäischen Quantified-Self-Konferenz, die alljährlich im Mai in Amsterdam stattfindet. Der Begriff bezeichnet das Messen und Monitoring Deiner Gesundheit mit Hilfe von Software wie zum Beispiel Apps und Smartwatches und ist Ausgangspunkt der niederländischen Quantified-Self-Bewegung.
Patientien wie Du und ich
Eine Initiative, die Daten von Privatpersonen dazu nutzt, um anderen zu helfen, ist die Website PatientsLikeMe.com, über die Patienten ihre eigenen Gesundheitsdaten mit anderen teilen können.
Jamie Heywood hat ‚PatientsLikeMe’ gegründet, nachdem bei seinem Bruder die Motoneuron-Erkrankung diagnostiziert wurde. Eigentlich sollte die Seite Patienten als Informationsquelle dienen und Heywood hoffte, darüber Behandlungsansätze für seinen Bruder zu finden. Mittlerweile zählt die Seite mehr als 200.000 Mitglieder und hat die Art und Weise, wie Patienten ihre Lebenssituation managen, nachhaltig verändert. Aber auch die Forschungsmethoden des Gesundheitswesens haben sich dadurch gewandelt. Außerdem hilft das Teilen von Real-Time-Daten, die Behandlung der Patienten zu optimieren. Denn das Teilen solcher Daten ermöglicht eine weltweite Zusammenarbeit.
Durch die breitere Datenbasis wird die Forschung beschleunigt, was wiederum neue Therapieformen ermöglicht. Die Webseite motiviert Patienten, ihre persönlichen Erfahrungen und Gesundheitsdaten zu teilen. Besucher finden auf der Seite Informationen zu ihren Krankheiten, Behandlungsmöglichkeiten und können sich mit Menschen in ähnlicher Situation vernetzen.
Weltverbesserer
Die Businesswebsite ‚CNN Money’ nannte PatientsLikeMe “eine von 15 Firmen, die die Welt verändern werden”. Heywood glaubt, dass Ärzte auf Basis der online gesammelten Daten schneller neue Behandlungsoptionen finden und Diagnosen definieren können. Durch das Teilen von Daten öffnet man das bis dahin geschlossene Gesundheitssystem. Man lernt, was bei anderen funktioniert, verbessert den Dialog zwischen Patient und Arzt und trägt dazu bei, Therapien in Rekordzeit marktreif zu machen.
Dies ist allerdings nur möglich dank hilfsbereiter Mitglieder, die bereit sind, sensible Informationen über ihre Behandlung, Symptome und Befunde zu teilen. Auf Basis dieser Daten testet und entwickelt PatientsLikeMe gemeinsam mit Ärzten neue Messmethoden. Ein Beispiel dafür ist ein Forschungsprojekt, in dem untersucht wird, ob von einem Zittern in der Stimme auf den Erkrankungsgrad von Parkinson-Patienten geschlossen werden kann. Dieses Projekt verleiht Parkinsonpatienten im wahrsten Sinne des Wortes eine Stimme, indem es Aufnahmen von Telefongesprächen und von Patienten beschriebene Symptomen nutzt, um das Fortschreiten der Erkrankung zu tracken.
Der Wissenschaftler Max Little, der das Projekt leitete, sagt dazu: „Als öffentlich geteilte Information können die gesammelten Daten sehr vielen Einzelnen helfen, indem sie die kollektive Intelligenz nutzen. Um die Wissenschaft voranzubringen, müssen die Wissenschaftler die Forschung demokratisieren und aufhören, dem eigenen Ruhm nachzujagen.”
Neben PatientsLikeMe gibt es mit iSpex in den Niederlanden auch eine Initiative, die Menschen dazu aufruft, mithilfe ihres Smartphones den Feinstaubgehalt in ihrer Umgebung zu messen. iSpex nutzt die gesammelten Daten zur Erstellung von Karten für Menschen mit Astma oder Lungenproblemen, die von den Informationen profitieren können.
Open Data
Die größten Datensammler sind Behörden. Sie sammeln personenbezogene Daten, aber auch Informationen von großer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Relevanz. Wenn diese Behördeninformationen als Datensätze veröffentlicht werden, die sich digital verarbeiten lassen, dann spricht man von ‘Open Data’.
Open Data ebnen unter anderem den Weg für neue Produkte und Dienstleistungen. Die App ‘Zonnen’ (deutsch: ‘sonnen’) ist ein schönes Beispiel dafür: Sie zeigt für den eigenen Standort an, wie stark die UV-Strahlung ist und wie lange Du Dich sonnen kannst, bevor Du einen Sonnenbrand bekommst.
Die App stützt sich auf Open Data, den aktuellen UV-Index des KNMI (Königliches Niederländisches Meteorologisches Institut), Daten der niederländischen Krebshilfe sowie auf Daten der WHO.
Ein Großteil der Informationen des öffentlichen Sektors ist noch nicht digital erschlossen. Sobald aber die wertvollen und gesellschaftsrelevanten Informationen für jedermann zugänglich sind, können Schulen miteinander kommunizieren, um die Qualität des Unterrichts zu verbessern, Bürger können Ärzte und Krankenhäuser vergleichen und selbst eine geeignete Behandlung finden.
Zukunftsmedizin
Wenn Privatleute und Behörden Daten teilen, dann bietet das unzählige Vorteile. Forschungsprozesse werden beschleunigt und neue Behandlungsmethoden lassen sich schneller und kostengünstiger entwickeln. Zudem verstehen Krankenhäuser und Pharmaindustrie Krankheiten und die eigenen Erfahrungen von Patienten mit einem offenen Modell besser. Diese Erfahrungen sind genau die Art Feedback, durch die das Gesundheitswesen schlagkräftig bleibt. Und nicht zuletzt profitieren auch die Patienten von einer optimierten Medizin.
Indem wir selbst Daten sammeln und mit entsprechenden Initiativen teilen, können wir dazu beitragen, das Gesundheitssystem zu verbessern. Außerdem eröffnen “Open Data”-Start-ups zahlreiche Möglichkeiten, neue Apps zu entwickeln, die einer großen Gruppe von Menschen zugute kommen kann.
Fotos: Google / iStockphoto