Digital Life
Kreative Rebellion: Goalgirls als Agentur, die keine sein will
Eine Agentur, die keine sein will: Die Goalgirls aus Berlin zeigen, dass aus Kooperation viel Kreatives entstehen kann.
Wenn einen übermäßig viele Bewerbungen erreichen, ist das eigentlich ein Grund zur Freude. Kaddie Rothe aber stimmte es nachdenklich, als sie sah, dass etwa 160 Frauen gern für ihre Agentur Goalgirls arbeiten würden. Weil sie so viel Talent, Elan und Kreativität aus den Zuschriften herauslesen konnte. „So viele tolle Frauen“, sagt die 27-Jährige, wenn sie daran zurückdenkt.
Tolle Frauen – denen sie aber nicht allen einen Job geben konnte. Ihre Agentur Goalgirls gab es zu dem Zeitpunkt seit ungefähr einem Jahr. Fünf Mitarbeiterinnen hatte sie gemeinsam mit ihrer ein Jahr jüngeren Schwester und Co-Gründerin Helena Rothe schon eingestellt, was alles andere als schlecht ist: Im Schnitt schufen Gründerinnen und Gründer 2018 innerhalb der ersten zwölf Monate gerade mal eine halbe Arbeitsstelle zusätzlich zum eigenen Job, rechnet der Gründungsmonitor der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) vor. Rothe aber wollte sich nicht damit zufriedengeben, in ihrem kleinen Team zu arbeiten. Sie wollte viel mehr Frauen in die Kreativbranche holen – und damit verändern, wie Werbung und Kampagnen gemacht werden.
Um das zu verstehen, muss man wissen, wie ihre Agentur Goalgirls 2017 in die Welt gekommen ist. Rothe hat am Goldsmith College in London studiert und im Anschluss rund ein halbes Jahr in einer Agentur gearbeitet. Lange genug, um zu wissen: So hatte sie sich das Arbeiten nicht vorgestellt. Entscheidungen verliefen über Umwege, dauerten ihr zu lange, und sie als Neueinsteigerin durfte sowieso nicht dabei mitreden. Ihre Ideen und Vorschläge präsentierte ein Vorgesetzter. „Ich hatte nie die Chance, zu sagen, dass es meine Entwürfe sind, oder meine Ideen zu rechtfertigen“, sagt sie. Die Hierarchien – viel zu steil. Das Team: „pale, male, stale“ – weiß, männlich, abgestanden. Rothe sehnte sich nach mehr Frauen. Schließlich sind sie wichtige Konsumentinnen und Entscheiderinnen.
Sie verließ die Agentur, schrieb mit ihrer Schwester Helena einen Blog, organisierte eine Eventreihe. Daraus entstanden eher zufällig die Goalgirls als Fachfrauen für Eventmarketing und mit einem Ziel: die Kreativbranche aufzumischen. Mit einem rein weiblichen Team, das die Zielgruppe der Kampagnen versteht. Mit den Geschwistern Rothe als Chefinnen, die vor einem Meeting auch mal ansprechen, dass sie einen schlechten Tag haben – und ihre Mitarbeiterinnen ermutigen, dasselbe zu tun. Keine starren Hierarchien aus Juniors und Seniors. Eine Agentur, die keine Agentur sein will. Fachgebiet: Events, Pop-ups, Offline-Kampagnenaktionen, die im Internet Aufmerksamkeit wecken. Das Team tingelte beispielsweise mit einem „Menstruationszelt“ von Musikfestival zu Musikfestival. Eine witzige Idee mit dem ernsthaften Anspruch, ein gesellschaftliches Tabu zu überwinden und endlich lässig über die Periode zu reden.
Die Goalgirls arbeiten für Milchpumpenhersteller, für ökosoziale Textilfirmen. Sie erwarten von den Firmen, dass sie am Pitch mitarbeiten. Manchmal laden sie auch NGOs, frisch gegründete Start-ups oder andere mit wenig Geld zum „Reverse Pitch“ ein – sie drehen das klassische Verfahren um, mit dem Agenturen sich um Aufträge bewerben. Die Auftraggeber müssen den Kreativen ihre Idee schmackhaft machen. Passt es, betreuen die Frauen den Kunden gratis. Querfinanziert über die anderen Aufträge.
Trotzdem schlichen sich Strukturen ein, die Rothe als zu klassisch empfand, die Goalgirls drohten die Agentur zu werden, die sie nie sein wollten. Als sich auf einen Aufruf die erwähnten 160 Frauen meldeten, geriet Rothe ins Grübeln. Warum immer nur im kleinen Team arbeiten, wenn da draußen so viele unterschiedliche und so inspirierende Frauen Ideen haben, die sie nie hören wird?
Einen Teil der Lösung ihres Problems fand sie bei Software-Unternehmen, in einem Managementprinzip, das sich Holokratie nennt. Anstelle von Abteilungen mit den klassischen Hierarchien arbeiten Expertenzirkel zusammen. Die Kollaborateurinnen schaffen sich für jedes Projekt das passende Arbeitsumfeld. Eine Mischung aus Netzwerk, Co-Working und Kollektiv. Sie nehmen, was sie brauchen, um tun zu können, was sie wollen, als eigenständige Expertinnen. „Im Team gibt es dann nur eine Grafikerin – die sich sicher sein kann, dass ihre Ideen gehört werden“, so Rothe.
Ihre Idee kam gut an: Zu einem ersten Treffen versammelten sich 100 Interessentinnen. Seit April 2019 arbeitet nun die Co-Creagency von Goalgirls am Berliner Alexanderplatz. Sie wird als „Co-Creagency Rebelles“ Frauen vorbehalten sein, aber nicht die einzige bleiben. Sie bekommt gerade eine Schwester – und in der werden dann alle Geschlechter kooperieren.