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„Ghost in the Shell“ Review: Ein Film mit Substanz, aber ohne Ghost
Kaum ein Filmstart wurde dieses Jahr mehr gefürchtet als der von „Ghost in the Shell“. Von Pessimisten vorab zum Abklatsch des 95er Animes verdammt, von Optimisten… tja, gab es eigentlich welche? Warum sich das Kybernetik-Spektakel mit Scarlett Johansson wacker schlägt und wie viel Seele im Ghost steckt, erfährst Du im folgenden Review.
Regisseur Rupert Sanders hat genau zwei Langspielfilme in seiner Vita. Sein Debüt gab er mit dem Märchen-Actioner „Snow White and the Huntsman“. Auch bei „Ghost in the Shell“ inszeniert er eine starke Frauenfigur. Diese befindet sich auf der Suche nach der eigenen Identität und muss sich dabei durch den Intrigen-Dschungel dubioser Schattenfiguren kämpfen, um schlussendlich die Fäden des Marionettenspielers zu kappen. Dabei scheint er sich einerseits vor dem Anime-Film Anno 1995 verbeugen zu wollen und entschuldigt sich andererseits förmlich dafür, keine 1:1-Adaption dieses Klassikers abgeliefert zu haben.
via Giphy
Ghost in a (Nut-)Shell
Als Mira Killian gespielt von Scarlett Johansson nach einem schweren Unfall aufwacht, spürt sie ihren Körper nicht mehr. Das liegt daran, dass ihr die Drehbuchautoren die erste Ganzkörperprothese der Zukunft zurechtgeschrieben haben. Als erster, vollwertiger Mensch-Maschine-Hybrid soll „Major“ die ultimative Waffe gegen die Verbrechen einer hochtechnologisierten Zukunft sein. Außerdem dient sie ihren Schöpfern bei Hanka Robotics als Versuchskaninchen. So weit, so RoboCop.
Quelle: YouTube / Moviepilot Trailer
Als Teil der staatlichen Sektion 9 (Innere Sicherheit / Cyberkriminalität) untersucht Major einen Fall von kybernetischer Industriespionage. Oder anders: Eine Horde beängstigender Geisha-Bots hat die Gehirnspeicher von Hankas Firmenexekutive ausgesaugt wie ein Beachvolleyballer ein Trinkpäckchen bei 34°C im Schatten. Im Zuge der Ermittlungen hat Major mit Halluzinationen zu kämpfen, die scheinbar Teil ihres früheren Lebens sind. Je näher sie der Lösung kommt, desto größer sind die Kaliber, die Hanka einsetzt, um sich nicht in die Karten schauen zu lassen.
Das Flüstern im Ghost ist eher so ein Nuscheln
Im Anime von 1995 sagt Johanssons Vorlage an einer Stelle: „[…] nur ein Flüstern in meinem Ghost.“ Nur einer von vielen ikonischen Sätzen, den jeder Fan vermutlich im Schlaf rezitieren kann. Er ist stellvertretend für den philosophischen roten Faden, der sich durch den ersten und zweiten Langspielfilm zieht. Wer bin ich? Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Diese Fragen stellen auch Streifen wie „Matrix“, „Existenz“ und andere Filme gleicher Spielart. Und auch wenn diese Vertreter „Ghost in the Shell“ in Bild und Sprache referenzieren, müssen sie sich doch nie einen direkten Vergleich gefallen lassen.
©2017 Paramount Pictures
Diesen Vorteil hat der nun startende Live-Action-„Ghost in the Shell“ nicht. Er muss sich vergleichen lassen. Deswegen versucht man einerseits den Fans zu gefallen, unter anderem durch Umsetzung bekannter Szenen und Motive. Und das funktioniert an vielen Stellen gut – oft bei Kleinigkeiten, der Tauchsequenz beispielsweise, oder einer Obduktion. Andererseits soll das Mainstream-Publikum nicht mit zu viel Philosophie-Geschwafel verscheucht werden. In welcher Produktions-Instanz diesbezüglich nun der Mut gefehlt hat – sprich bei den sieben Studios oder den drei Drehbuchautoren – lässt sich rückblickend schwer sagen. Wenn Fans des ersten Animes aber eine Sache mit Sicherheit vermissen werden, dann das Quäntchen mehr Ruhe. Weniger Aufregung, mehr Mut zu Bildern, die in Ruhe wirken können.
Scarlett Johansson überzeugt hingegen als „Major“. Für die generische Hintergrund-Geschichte kann die Aktrice ja nichts. Die Suche nach Menschlichkeit, wenn man selbst in einem kybernetischen Körper steckt, ist vermutlich schwer darzustellen. ScarJo hat ihren Weg gefunden und verleiht der Figur genau diesen funktionell-ausgerichteten Habitus, der die Figur so beliebt bei Fans macht. Dabei hätte man sich aber auch für die anderen Mitglieder der Sektion 9 etwas mehr Screentime gewünscht. Vielleicht ist dafür in einer möglichen Fortsetzung Platz, die es dann im Idealfall schafft, mehr eigene Ideen umzusetzen und etwas Eigenständiges zu erzählen – eben ganz in der Tradition von Ghost in the Shell.
©2017 Paramount Pictures
Viel Cyber, wenig Punk
Ghost in the Shell ist ein kurzweiliges Sci-Fi-Spektakel, mit vielen Zugeständnissen an das, was die Studios für Mainstream halten. Auf visueller Ebene braucht sich der Film nicht verstecken, auch wenn er hier und da etwas zu forsch in die Fußstapfen seiner Vorläufer treten will und dabei schlichtweg an der Selbstzensur scheitert. Man hat buchstäblich den Punk aus dem Cyberpunk genommen, um dem vermeintlichen Massengeschmack Rechnung zu tragen. Deswegen ist „Ghost in the Shell“ jedoch trotzdem sehenswert – vielleicht besonders für die, die sich nicht selbst „Fans“ nennen. Mit diesem Film ist die Welt etabliert und sind die Figuren eingeführt. Bleibt zu hoffen, dass dem Film eine Fortsetzung vergönnt ist. Eine die dann weniger Kraft für die Exposition aufbringen muss und sich mehr mit dem Ghost in the Shell beschäftigen darf.