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“Gemini Man“ in der featured-Filmkritik: Beim Griff in die Trickkiste leider das Drehbuch verloren
Regisseur Ang Lee hat in seiner Karriere immer wieder außergewöhnliche Stilmittel benutzt, um beeindruckende Charaktergeschichten ästhetisch ansprechend und opulent zu erzählen. Nun, das hier ist nicht so ein Film. Warum, erfährst Du in der featured-Filmkritik zu Gemini Man.
Laut Hollywoodreporter geistern die Idee und erste Versionen des Drehbuchs zu Gemini Man schon seit Ende der Neunziger durch die Produktionsbuden Hollywoods. Und visuell hat Regisseur Ang Lee hier alles aus der Trickkiste geholt, wonach niemand verlangt hat: HFR (High Frame Rate) 120, 3D+ und ein digital verjüngter Will Smith. So viel VFX (visual effects)-Budenzauber und doch so wenig Substanz.
Will versus Will: Das doppelte Lottchen
Henry Brogan (Will Smith) hat über 70 Menschen auf dem Gewissen, ist der beste Scharfschütze auf dem Markt und will in den Ruhestand gehen. Das wollen seine ehemaligen Auftraggeber aber nicht. Die US-Behörden lassen ihn durch Agentin Zakarweski (Mary Elizabeth Winstead) überwachen, deren Tarnung allerdings umgehend auffliegt. Parallel dazu entsendet der private Militärdienst Gemini einen ebenbürtigen Auftragskiller: einen Klon von Henry Brogan, genannt Junior (Will Smith).
Gestochen scharf: Leider
Das Feld der computergenerierten visuellen Effekte ermöglichte Ang Lee bereits solche Spektakel wie Life of Pie, ein Film der ausschließlich vor dem Green Screen entstanden ist. Aber auch in anderen Produktionen fordert er der Produktion in puncto visueller Effekte viel ab. Schon in seiner Interpretation von Hulk (2003) wirkte der vollanimierte grüne Koloss arg artifiziell, war aber ein Eyecatcher und ein Novum.
2016 probierte Ang Lee sich im Gesellschaftsdrama Die irre Heldenreise des Billy Lynn mit Filmaufnahmen in HFR aus, eine Technik bei der mit 120 statt der üblichen 24 Bilder pro Sekunde aufgenommen wird. Dazu in Ultra HD und 3D. Das blieb in Deutschland als unbeachtet, weil die Kinos den Streifen konsequenterweise in 2D und 24 Bildern pro Sekunde zeigten.
Das ist bei Gemini Man nun anders. Der Film läuft in gestochen scharfem 3D, der extrem hohen Bildrate – und natürlich einem digital verjüngten Will Smith. Und dank der gestochen scharfen Bilder, springt einem die digitale Herkunft des geklonten Will Smith jede Sekunde in die Augen. Im Gegenzug wird aber auch jede Actionszene zu einer lebensechten Nahtoderfahrung. Nun erwartet man in einem Actionfilm auch Actionszenen. Das heißt: Im besten Fall bekommen wir in diesen Momenten das wofür wir bezahlt haben. Und die Technik muss den Film theoretisch tragen, denn die Story tut es gewiss nicht.
Mehr hierzu liest Du übrigens im Interview mit Stuart Adcock, dem Leiter des Facial Motion Departments bei Weta Digital.
So innovativ wie Klone
Ein Elite-irgendwas im Visier des geklonten Ichs. Das ist hier und da eine spannende Prämisse. Die Videospielreihe Metal Gear Solid hat eine ähnliche Figurenkonstellation, aber eine tiefer auserzählte Hintergrundgeschichte. Und so ließen sich noch zahlreiche Bücher, Spiele und Filme anführen, die die Klon-Thematik erschöpfend behandeln. Im Vergleich zu vielen von denen, fällt Gemini Man vor allem durch seine inhaltlichen Inkonsistenzen auf. Der Klon des Scharfschützen wird von den gleichen inneren Dämonen heimgesucht und hat die gleichen Talente wie das Original, weil er das gleiche Erbmaterial hat. Das reduziert quasi jeden Menschen auf seinen ererbten Genpool. Danke, Ang Lee.
Überzüchtetes Action-Spektakel mit Schauwerten
Gemini Man ist ein Schaulaufen moderner Filmtechniken. Leider zieht der Film daraus, scheinbar, seine einzige Daseinsberechtigung. Insbesondere Will Smith’ Double entlarvt sich leider ab der ersten Sekunde als digitaler Budenzauber. Gerade bei nahen Einstellungen wirkt das regelrecht gruselig. Im Gegensatz zu der ambitionierten Technik, ist die Story lediglich pures Bindeglied zwischen den Actionszenen. Schade. Sicherlich ein Blick im Heimkino wert, aber nicht den Kauf der Kinokarte.
Gemini Man
Genre: Action / Science Fiction
Bundesstart: 03.10.2019
Laufzeit: 117 Minuten
FSK: Ab 12 Jahren
Regie: Ang Lee
Drehbuch: David Benioff, Billy Ray, Darren Lemke
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Foto: Paramount Pictures