Digital Life
Die Zukunft von gestern
Schon zu Beginn dieses Jahres äußerten sich „Zurück in die Zukunft“-Fans aufgeregt im Netz: Ab dem 21. Oktober, dem Tag, an dem Marty McFly im Jahr 2015 landet, wird die Film-Zukunft zur Vergangenheit. Eine verrückte Vorstellung, oder?
Ebenfalls verrückt ist, wie wenig und doch wie sehr die „Back to the Future“-Welt im Jahr 2015 der Realität gleicht. Zwar haben sich die Mode-Visionen der Macher (leider?) nicht durchgesetzt und es gibt nach wie vor kein alltagstaugliches Hoverboard, aber Flachbildschirme sind tatsächlich der Standard geworden, es gibt noch immer Faxgeräte (auch wenn die langsam aussterben) und fast alles läuft elektronisch.
Gedanken über die Zukunft machen sich die Menschen nicht erst seit den Filmen über Marty McFly – wir haben zum Beispiel die folgenden hochinteressanten Illustrationen zweier Postkartenkünstler gefunden. Diese haben sich im Jahr 1900 ausgemalt, wie die Welt im Jahr 2000 so aussehen könnte – und man sieht: Genau wie bei „Zurück in die Zukunft“ haben einige der damaligen Technikträume den Nagel doch ziemlich auf den Kopf getroffen.
Da wir (noch) keine magische Kristallkugel haben, die uns die Zukunft vorhersagt, bleibt uns nichts anderes übrig, als vorerst bei theoretischen Prognosen zu bleiben und unserer Fantasie freien Lauf zu lassen. So ähnlich dachten sich das wohl auch die Menschen Anfang des 20. Jahrhunderts. Für die Schokoladenfirma Hildebrand entwarfen Zeichner zwischen 1899 und 1919 auf Postkarten ihre Visionen davon, wie die Welt im Jahr 2000 aussehen könnte. Von elektrischen Bürgersteigen über fliegende Schiffe bis hin zu Audio-Aufnahme-Maschinen war da so ziemlich alles dabei. Nur was damals irrwitzige Zukunftsfantasien waren, ist heute längst Realität. Also zumindest teilweise.
Videotelefonie
In dem 1919 erschienenen Buch „Die Welt in 100 Jahren“ prophezeite der US-Journalist Robert Sloß: „Jedermann (wird) sein eigenes Taschentelefon haben, durch welches er sich, mit wem er will, wird verbinden können, einerlei, wo er auch ist.“ Von den Anfängen des deutschen Mobilfunkdienstes 1918, dem Seefunkdienst bis zum jetzigen 3G-Netz ist unglaublich viel passiert. Mit dem B-Netz wurde das nette Umsteck-Fräulein abgelöst und 1992 kam die Revolution mit dem Mobilfunkstandard GSM (Global System for Mobile Communications). Aber was zu den Zeiten von Robert Sloß noch eine ferne, für manche gar verstörende Zukunftsvision war, ist heute längst Standard.
Wirklich faszinierend ist, wie nah die Menschen von damals an unsere heutige Realität kamen. Denn während das Telefonieren allein über Länder und gar Kontinente hinweg zu dieser Zeit noch schlichtweg undenkbar war, prognostizierten die Menschen trotzdem so etwas wie die Übertragung von Bild und Ton. Mit anderen Worten: die Videotelefonie.
Foto: Apple.
Sprung ins Jetzt: Ein Facetime Anruf ist für Dich wahrscheinlich genauso normal wie die Skype- oder Google-Hangout-Videokonferenz und bald auch das Facebook-Messenger-Videocalling (in Deutschland zurzeit noch nicht verfügbar). Längst hören wir nicht mehr nur Menschen auf der anderen Seite der Welt, wir sehen sie auch und nehmen sie per Smartphone oder Tablet überall mit hin.
Für uns ist die Video-Telefonie so normal wie das Verschicken eines Briefes vor 100 Jahren.
Gehwege
In der Zukunft werden wir nicht mehr selbst durch die Städte laufen. Der Gehweg wird sich für uns bewegen und uns so aufwandslos an unser Ziel fahren. So ähnlich muss der Künstler sich das wohl gedacht haben. Und ganz so weit von der Realität war er gar nicht. Zwar bewegen sich die Gehwege in den Städten noch nicht von selbst, aber an Flughäfen sausen wir Dank Laufband in Lichtgeschwindigkeit von Terminal zu Terminal – mit Ausnahme derer, die auf dem Band stehenbleiben und so in Zeitlupe zum Gate zuckeln. Nicht zu vergessen die gute alte Rolltreppe, die uns seit Jahrzehnten das Treppensteigen abnimmt. Ob bald die gesamte Stadt der Faulheit frönt, sei aber mal dahin gestellt.
Vom Hörbuch zur gesprochenen Zeitung
Etwas seltsam dargestellt, aber nicht minder richtig, ist auch die Prognose von Audiobüchern. Heute sind Hörbücher längst ein alter Hut. Mit Hilfe von Schallplatten hörten die Menschen sogar schon in den zwanziger Jahren Aufnahmen von Thomas Mann oder Erich Kästner in den eigenen vier Wänden. Nur bei der Methode lag die futuristische Vision noch etwas daneben. Denn um die Aufnahme zu erstellen, braucht es trotz allem noch einen Menschen und nicht eine Schredder-Maschine, die die Bücher zerfetzt und dann per Magie in Audio umwandelt. Ich lasse das trotzdem mal so gelten und freue mich einfach darüber, dass unser heutiges System die Bücher verschont.
Auch die Audiozeitung soll es im Jahr 2100 geben. Podcasts und bestimmte Funktionen von Online-Zeitungen haben diese hundert Jahre alte Nachfrage natürlich längst erkannt und bieten vermehrt Artikel in Audio-Form an. Ganz nah kommt der Vision außerdem die App Umano, die Nachrichten aus verschiedensten Zeitungen vorliest. Dafür suchen Algorithmen die beliebtesten Artikel aus dem Netz zusammen, schicken die an freie Sprecher und voilà, fertig ist die Hör-Zeitung.
Schönwetter-Maschine
Die Vorstellung, dass wir uns die Wolken einfach so vom Himmel pusten können, ist ziemlich toll. Nie wieder graue, nass-kalte Sommer. Stattdessen Sonnenschein pur und wir können auch noch was Gutes tun und die Regenwolken dahin schicken, wo die Menschen sie am dringendsten brauchen.
Ist leider nicht so ganz Realität, auch wenn man sich die Zukunft vor hundert Jahren so vorstellte. Aber es ist eben auch nicht reine Science Fiction. In einem Streben nach Perfektion hat China bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele 2008 durch Silberjodid-Wolken-Beschuss nämlich für schönes Wetter gesorgt. Bitte jetzt aber nicht, wenn das Wetter schlecht ist, anfangen Böller in den Himmel zu werfen – das sorgt eher für eine Schlechtwetterfront im Gemüt der Nachbarn, als dass es Dich zum visionären Wettermanipulator macht.
Putz-Roboter
Er rollt, er schrubbert, er wischt, kehrt, wedelt Staub und das ganz allein. Putzen gehörte noch nie zu unseren Lieblingsbeschäftigungen, weshalb es auch nicht weiter verwunderlich ist, dass man sich schon vor hundert Jahren für die Zukunft einen Putzroboter erträumte – und damit fast in Schwarze traf. Zwar wuschelt der Roboter nicht mit Staubwedeln über unsere Regale, dafür reinigt der kleine Staubsaug-Roboter ganz allein für uns den Boden im gesamten Haus. Oder jagt die Haustiere. Oder uns.
Persönliche Flugmaschine
Zugegeben: Die Vorhersage, dass jeder Mensch mit seiner eigenen kleinen Flugmaschine umherfliegt und das zur alltäglichen Art der Fortbewegung wird, ist doch etwas weit hergeholt. Oder? Mit dem richtigen Budget eigentlich nicht. Kleine Privatjets für nur wenige Insassen sind heute problemlos zu erwerben, aber das ist noch nicht alles. Mit einem ganz neuen Jetpack ist die ferne Zukunftsvision noch einen großen Schritt näher gerückt. Die neuseeländische Firma Martin Aircraft gab nämlich bekannt, dass sie ab Mitte 2016 ihr Martin Jetpack auf den Markt bringen wird. Das läuft mit normalem Benzin, kann 74 km/h schnell werden und Höhen von bis zu 1500 Metern erklimmen. Einzige Voraussetzung: fit und reich sein. Immerhin kostet das gute Stück circa 103.000 € und trägt Menschen nur mit einem Gewicht bis 120kg. Im kommenden Jahr soll das Jetpack erstmals für Nothelfer-Einsätze zum Einsatz kommen, bis es dann 2017 auch für Privatpersonen an den Start geht.
Theater-Übertragung
Anfang des 20. Jahrhunderts hätte wohl kaum jemand vorhersehen können, wie unfassbar rasant die Entwicklung des Rundfunks voranschreiten würde. Während die Menschen damals noch in der Vorstellung schwelgten, man könne doch die Theatervorführung in den Nachbarraum projizieren, gucken wir mittlerweile Spiele und Aufführungen in Echtzeit und das weltweit. Die erste Live-Übertragung fand sogar schon in den dreißiger Jahren bei den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin statt. Und was wäre eine WM ohne Fernseher und Public Viewing?
Orchester im Ohr
Manchmal ist es auch ganz gut, dass die Visionen von damals (noch) nicht wahr geworden ist. Denn zum Glück sind wir, entgegen der Prognose unserer Vorfahren, noch nicht an dem Punkt angekommen, wo der Dirigent nur noch einen Haufen Metall koordiniert. Eine Oper ohne Orchester ist ein wenig wie ein iPhone, bei dem der Touchscreen nicht mehr funktioniert – mit dem Knopf allein macht das Gerät nicht ganz so viel Spaß. Aber so ganz Unrecht hatten die Herrschaften eben auch nicht. Immerhin haben wir mittlerweile dank Smartphone, iPod etc. das gesamte Orchester sogar direkt in unserem Ohr und das überall und wann immer wir wollen. Im Grunde sind wir also der Dirigent unseres eigenen Technik-Orchesters.
Erschreckend, faszinierend und beeindruckend, wie visionär unsere Vorfahren schon damals waren. Wobei natürlich auch nicht alles Realität geworden ist. Ein paar Fantasien waren vielleicht doch noch etwas zu weit hergeholt. Zumindest bin ich bis jetzt noch nicht mit einem Walbus gefahren, auf einem Seepferd ausgeritten und meine Inline-Skates haben definitiv keine Raketen angebaut – leider.
Wobei: So rasant, wie sich der Verkehr weltweit entwickelt, und aufgrund der Tatsache, dass Städte einfach immer voller werden, ist es vielleicht gar nicht so unwahrscheinlich, dass wir uns den Visionen annähern und eine zweite und dritte Welt unter Wasser und in der Luft erschaffen. Wer weiß. Ich für meinen Teil weiß nur, dass ich vorerst den Staubsauger in einen gut verschlossenen Raum stelle. Nur so für alle Fälle. Aldous Huxley und George Orwell lagen mit ihren Zukunftsutopien immerhin auch gar nicht so falsch.
Bleibt nur noch eine Frage: Was ist Deine Prognose für 2100?
Fotos: Wikimedia.