Digital Life
Die Liebe in den Zeiten des Internets
Unsere Autorin Debby hat sich dem Thema „Onlinedating” angenommen und ihre Erfahrungen und ihre ganz persönliche Sicht auf die Dinge ausführlich niedergeschrieben.
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Ich habe meinen Ehemann – oder besser gesagt: die Liebe meines Lebens – im Internet kennengelernt. Noch vor ein paar Jahren hätten viele Menschen auf diese harmlose und eigentlich sehr schöne Aussage sehr pikiert und mit Unverständnis reagiert. Partnersuche im Internet war lange Zeit ähnlich anrüchig wie das Eingeständnis regelmäßiger Bordellbesuche. Wer Ende der 90er-Jahre eingestand, online nach einer besseren Hälfte zu suchen, musste mit dem Spott seiner Mitmenschen rechnen.
Der Klassiker, der leider auch noch heute in vielen Köpfen umhergeistert: „Im Internet suchen doch nur Perverse und Kriminelle, sonst würden die sich doch in der normalen Welt umsehen.“ Auch hörte ich nicht selten Fragen wie „Traust du Dich nicht, rauszugehen und im wahren Leben jemanden kennenzulernen? So unattraktiv bist Du doch gar nicht.“ Oder wie meine Mutter gerne in missbilligendem Ton fragte „ Warum musst Du denn ausgerechnet am Computer nach Männern Ausschau halten?“
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Viele Wege führen nach Rom. Und das Gleiche gilt für die Liebe.
Der Überlieferung nach schlug der Steinzeitmann seinerzeit dem Objekt seiner Begierde mit der Keule eins über und zog die „Beute“ anschließend in seine Höhle. In späteren Jahrhunderten wurden Paare einander schon als Kinder versprochen, wenn nicht gar direkt verheiratet. Auch Tauschgeschäfte waren die Basis vieler Beziehungen. Hätte es damals schon Kontaktanzeigen geben, hätten wir wahrscheinlich Anzeigen in der Art „Tausche meine gesunde, fruchtbare Tochter gegen 10 Milchkühe ein“ lesen können. Ehen wurden auf Grundlage von Politik oder wirtschaftlichen Aspekten gestiftet. Liebe und der Luxus der freien Entscheidung waren lange Zeit nicht ausschlaggebend dafür, mit wem man den Rest seines Lebens verbrachte. Ehe und Beziehungen waren in erster Linie Versorgungsgemeinschaften.
Heute, im 21. Jahrhundert, klingen die Methoden von einst geradezu barbarisch in unseren Ohren. Trotzdem wurden die damaligen Praktiken mit einer größeren Selbstverständlichkeit akzeptiert, als heutzutage die Aussage, dass man bei einer Onlinedating-Seite angemeldet ist.
Tatsächlich gibt es gute Gründe, seinen potenziellen Lebenspartner online zu suchen. Das Konzept der Versorgungsgemeinschaft gehört immer mehr der Vergangenheit an, denn über 72 Prozent der deutschen Frauen sind berufstätig und autonom. Diese Entwicklung, wie auch der Faktor „Zeitmanagement“, beeinflusst die Partnersuche maßgeblich.
Lassen wir das Onlinedating mal kurz beiseite und betrachten die anderen Möglichkeiten Mr. oder Mrs. Right zu finden: Da wären die drei Klassiker Schule, Studium und Arbeitsplatz – aber wenn man wie ich mit dem Leitspruch „Nie intim im Team“ erzogen wurde, fällt der Arbeitsplatz schon mal weg. Spätestens jetzt wird es schwierig, da viele von uns sehr viel Zeit mit ihrem Beruf verbringen, was wiederum die Freizeit stark einschränkt. In meinen Zwanzigern hatte ich genügend Energie, um nach einem 13-Stunden-Arbeitstag noch auszugehen. In meinen Dreißigern wurde das schon schwieriger, denn da sehnte ich mich nach einem langen Tag im Büro nur noch nach einem entspannten Abend auf meinem Sofa. Nur leider war mein Wohnzimmer nicht der ideale Ort, um interessante Männer kennenzulernen. Die – für mich offensichtliche – Lösung dieses Problems bot das Internet mit seinen zahllosen Onlinedating-Seiten. Ich gestehe ohne Scham, dass ich diverse Partnerbörsen im Internet ausprobiert habe, denn mittlerweile gibt es dort für jeden Geschmack etwas.
Allein in Deutschland gibt es weit über 2.500 verschieden Online-Singlebörsen, ob für die Suche nach dem Partner fürs Leben, nach einem Seitensprung oder dem unverbindlichen Vergnügen für eine Nacht. Rund neun Millionen Bundesbürger definieren per Mausklick ihre persönliche Suche und die Auswahlkriterien scheinen grenzenlos zu sein. Vom intellektuellen Bildungsansatz über die Höhe des Einkommens oder gemeinsamen Hobbys hin bis zur Körbchengröße – wir können all unsere Wünsche und Vorstellungen in unsere Suche einfließen lassen. Ein weiterer Vorteil der gezielten Suche im Internet ist, dass beide Parteien direkt wissen, wo sie dran sind.
Das ist der große Unterschied zum analogen Kennenlernen, denn mal ehrlich: Wenn wir abends an der Theke unserer Stammkneipe auf einen netten, interessanten Menschen treffen, werden wir wohl kaum nach einer Viertelstunde entspannt zu ihm sagen: „Ich bin auf der Suche nach einer festen Beziehung. Wie steht es mit Dir?“ Wir hätten Angst davor, mit einer brutalen Zurückweisung konfrontiert zu werden oder verzweifelt zu wirken, und bekanntlich wirkt das nicht gerade wie ein Aphrodisiakum bei der Partnersuche. Und wie wäre es, wenn man selbst so eine Frage gestellt bekommen würde? Wahrscheinlich käme man sich vor, als würde man von einem D-Zug überrollt werden. Erstaunt bis schockiert über so einen Frontalangriff wären wir sicher – gekrönt von einem gewissen Maß an Misstrauen, dass mit jemandem, der so schnell zur Sache kommt, bestimmt irgendwas nicht stimmt.
In der Internet-Datingwelt ist unmissverständlich klar, was wir suchen. Es gibt keine falsche Scham, einzugestehen, dass man einsam ist und das gerne ändern würde. Wir können damit die endlosen Verabredungen umgehen, die wir benötigen, um unseren ganzen Mut zusammenzukratzen und endlich einzugestehen, dass man mit seinem Gegenüber gerne eine Beziehung hätte. Wenn wir jemanden über eine Dating-Seite kennenlernen, dann ist klar, worauf potenzielle Verabredungen hinauslaufen sollen. Es mag pragmatisch klingen, aber man erspart sich die Frustration. Sind wir nicht alle schon mal mit jemandem ausgegangen, den wir spannend fanden und mit dem wir uns gerne auf eine Beziehung eingelassen hätten, nur um dann zu erfahren, dass derjenige überhaupt nicht an etwas Festem interessiert ist? Auch in der Onlinewelt kann das passieren, aber das Risiko ist geringer, weil man sich unter anderen Voraussetzungen trifft. Wenn ich mich mit dem süßen Typen, den ich am Abend zuvor in einer Bar kennengelernt habe, zum Essen verabrede, dann kann es sein, dass ich von der großen Liebe träume, während er aber einfach nur eine neue nette Bekannte in mir sieht, mit der er angenehm quatschen kann.
Wenn man sich an drei goldene Regeln hält, kann Onlinedating meiner Meinung nach eine wunderbar entspannte Sache sein:
- Das eigene Profil ehrlich gestalten. Dazu gehört ein aktuelles Bild, auf dem man sich auch tatsächlich selbst ähnlich sieht. Alles andere führt in der Regel nur zu schmerzhaften Zurückweisungen. Aus demselben Grund sollte man die Fragen aufrichtig beantworten und nichts Unwahres schreiben, nur weil man glaubt, dadurch interessanter zu wirken.
- Nicht wochenlang hin und her schreiben, sondern wenn der Erstkontakt spannend ist, zügig zu einem persönlichen Treffen übergehen. Ob man will oder nicht – wenn man lange schriftlich oder auch telefonisch kommuniziert, baut sich im Kopf ein eigenes Bild und eine damit verbundene Erwartungshaltung auf. Lieber direkt sehen, wer da auf der anderen Seite des Bildschirms sitzt.
- Das erste persönliche Date auf gemeinsames Kaffeetrinken an einem öffentlichen Ort beschränken. Wenn die Chemie nicht stimmt, kann eine Verabredung zum Abendessen quälend lang sein. Wenn es aber funkt, kann man vom Kaffeetrinken immer noch zu einem gemeinsamen Essen übergehen.
So war es auch mit meinem heutigen Göttergatten und mir. Eines Tages öffnete ich mein Postfach der Dating-Seite, die ich damals nutzte, und fand eine Mail, die ich charmant und witzig fand. Das dazugehörige Profil sprach mich ebenfalls an und nach ein paar Mails verabredeten wir uns an einem lauen Sommerabend zum Kaffee. Aus dem Kaffee wurde ein Abendessen und wir trennten uns erst, als wir vom Wirt des Lokals aufgefordert wurden, ihn doch nun endlich Feierabend machen zu lassen. Es war 2 Uhr morgens und wir die Letzten im Gastraum. Sechs Stunden waren wie im Flug vergangen und ich war bis über beide Ohren verknallt. Gott sei Dank beruhte das auf Gegenseitigkeit – wir sind jetzt seit über sieben Jahren zusammen, vier davon als verheiratetes Paar. Unsere Liebesgeschichte erzählen wir gerne und oft, weil wir sie trotz aller Pragmatik romantisch finden und wir uns als gutes Beispiel dafür empfinden, dass man seine große Liebe online finden kann.
Mein Göttergatte und ich sind uns sogar ziemlich sicher, dass wir uns ohne das Internet nie begegnet wären. Wie alle frisch verliebten Paare fragten wir uns am Anfang unserer Beziehung oft, warum wir uns nicht schon früher über den Weg gelaufen waren.
Also suchten wir Parallelen in unserem Lebenslauf, aber bis auf ein paar Konzerte, die wir in den 90ern gleichzeitig besuchten, konnten wir keine Überschneidungen finden.
Sowohl unsere Persönlichkeiten als auch unser alltägliches Leben hätten unterschiedlicher nicht sein können. Ich bin laut, fast ein bisschen schrill, und sehr extrovertiert, der Liebste ist eher der coole, zurückhaltende Typ. Und trotzdem sind wir – wie wir heute wissen – füreinander die idealen Traumpartner.
Wer also an dem Klischee festhält, dass man im Internet nur auf Idioten, Perverse und Kriminelle trifft – die man nebenbei gesagt genauso gut in seiner Stammkneipe treffen kann –, der versagt sich eine Wundertüte voller ungeahnter Möglichkeiten. Am Ende des Tages ist das WWW einfach ein weiterer Ort der Begegnungen, dem man nicht mit Furcht und Misstrauen begegnen, sondern den man wie einen Verbündeten begrüßen sollte. Es gibt einen Spruch, an den ich oft denken muss. „Spontan ist man immer fünf Minuten später“, weil er ein Problem ziemlich gut auf den Punkt bringt. Ich bin bestimmt nicht der einzige Mensch, der des Öfteren zu lange gezögert hat, eine interessante Person anzusprechen, weil einem entweder der perfekte Eröffnungssatz nicht einfallen wollte oder man einfach zu lange brauchte, um seinen ganzen Mut zusammen zu kratzen. Vermutlich ist schon manche vielversprechende Begegnung erst gar nicht zustande gekommen, weil man fünf Minuten zu lang gewartet hat. Das Internet schenkt einem unter anderem diese benötigten fünf Minuten, denn ein Onlineprofil verlässt nicht einfach die Bar, bevor Du Dich traust, es anzusprechen.