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Zeichnen 2.0: Analoge Kunst im digitalen Zeitalter
In Zeiten von 3D-Druck und Computeranimation steht auch die handgefertigte Zeichnung vor einer Digitalisierung. Ersetzt das iPad den Malblock? Welche Alternativen gibt es für Android & Co? Wir geben Dir einen Wegweiser für modernes Zeichnen an die Hand.
Für viele junge Leute bedeutet bereits das Anwenden diverser Effekt-Filter beim Selfie so etwas wie Zeichnen. Das genügt vielen als Beweis der eigenen Kreativität. Schnell wird ein Bild vom eigenen Hund geschossen, zweimal weichgezeichnet, in eine Bleistiftskizze verwandelt et voilà: Kunst. Du bist da anders. Deine Gedanken fließen von Deinem Kopf über den Bleistift direkt auf den Zeichenblock. Aber Du willst mehr Möglichkeiten, Deine Produkte digital zu bearbeiten. Deswegen schielst Du just in diesem Moment auf Dein iPad, das bisher vor allem dazu diente, die Partyfotos vergangener Wochenenden anzuschauen und Pflanzen vs. Zombies im Großformat zu daddeln. Könntest Du auf dem Gerät nicht Zeichentalent, Leidenschaft und Technik wunderbar miteinander verbinden? Ja, könntest Du. Doch bevor Du schaust, wie Du in Zukunft zeichnest, werfen wir einen Blick in die Vergangenheit.
Kleine Geschichte der Zeichenkunst
Die Geschichte der Zeichnung ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Viele denken sofort an die Mona Lisa, Edward Munchs „Der Schrei“ oder gar Comics und Cartoons. Tatsächlich wollte der Mensch sich schon immer irgendwie kreativ ausdrücken. Historische Funde in Frankreich belegen, dass bereits 20.000 v. Chr. Motive in Höhlenwände geritzt wurden. Eine Art Prä-Memes, mit denen man sich gegenseitig Glück bei der Jagd wünschen konnte. Diese wurden mit natürlichen Farben, zum Beispiel aus Pflanzen und Kohle, gemalt.
Ca. 3000 v. Chr. gibt es komplexe farbenfrohe Darstellungen in Form von Fresken, so zum Beispiel in Ägypten, dem Römischen Reich und Griechenland. Die Griechen sind da bereits etwas weiter: Sie bemalen Tonvasen, um Geschichten zu erzählen – also eine Art antiker Comic.
Mit dem Aufkommen des Buches als neues Medium erfährt auch die Kunst des Zeichnens einen Schub. Bilder werden nach wie vor als Mittel zum Zweck angesehen, etwa um das Geschriebene zu verdeutlichen. Im 14. Jahrhundert löst das wesentlich günstigere Papier das bis dahin gebräuchliche Pergament als Trägermedium ab und eröffnet so Übungsmöglichkeiten für junge Künstler.
In der Renaissance (15. + 16. Jh.) setzt sich die Malerei als eigenständige Kunst durch und bekommt eine neue Bedeutung. Im Zuge dessen liefern Künstler wie Leonardo Da Vinci und Michelangelo Buonarroti ihre bedeutendsten Arbeiten ab. Und nein: Sie sind keine großen Schildkröten-Ninjas.
Parallel dazu beeinflusst die ostasiatische Tuschmalerei – vermutlich entstanden aus der Kalligrafie – auch europäische Künstler und ihren Stil.
Und nun, im Jahr 2015, sitzt Du vor diesem Artikel und fühlst Dich winzig klein im Angesicht der Geschichte des Zeichnens. Musst Du nicht. Was uns die Geschichte vor allem zeigt, ist doch, dass sich Art und Weise der malerischen Kunst immer weiterentwickelt haben. Wer weiß, was Da Vinci mit einem iPad angestellt hätte?
Abgebissen: Zeichnen auf dem iPad
Die meisten Bilder beginnen mit einer Skizze. Da wundert es nicht, dass es im Bereich digitaler Anwendungen viele Skizzen-Programme gibt. Zum Beispiel eines der ältesten Mal-Programme für Tablets: Paper. Damit erstellst Du in der Regel keine museumsreifen Bilder, es ist eher als eine Art digitales Schmierblatt, Notiz- und Skizzenblock gedacht. Um ein Gefühl für das Tablet als Zeicheninstrument zu bekommen, besorgst Du Dir Paper im App Store.
Digitale Zeichen-Apps funktionieren natürlich am besten mit der richtigen Hardware. Apple hat dazu den hauseigenen „Pencil“. Eine kurze Suchmaschinen-Eskapade eröffnet Dir aber unzählige Hardwarealternativen.
Wenn Du diese Kennenlern-Phase hinter Dir gelassen hast und Deine Skizzen und Bilder komplexer werden, sind Apps wie Sketchbook oder Tayasuki Sketches das Richtige für Dich. Beide bieten umfangreiche Funktionen, flüssige Abläufe beim Malen und eine intuitive Bedienung. Schau in der Beschreibung nach, ob die App auch Deinen Stylus, also Deinen Zeichenstift unterstützt. Die App Tayasuki Sketches beispielsweise unterstützt alle Stylus-Modelle, außer denen des Herstellers Hex3. Darüberhinaus gibt es beide Anwendungen jeweils in einer Gratis-Version. Bei Sketchbook kannst Du eine Jahres-Mitgliedschaft abschließen, Tayasukis Pro-Version gibt es für einmalig 4,99 € zu kaufen. Vorteil bei der Tayasuki-Anwendung ist die Import-Funktion eigener Bilder.
Links: Tayasuki Sketches / Rechts: Sketchbook.
Mit Procreate geht es bereits einen Schritt weiter. User-Meinungen rangieren eigentlich nur zwischen „großartig“ und „fantastisch“ und im Bereich der mobilen Grafikerstellung und Bildbearbeitung ist Procreate für viele die erste Wahl. Das hängt vielleicht auch mit seinen Export-Möglichkeiten zusammen. Du kannst Deine Bilder nämlich direkt als PNG, JPG oder als Photoshop-Datei (PSD) exportieren. Procreate bietet Dir auch die Möglichkeit, Deine Dateien in die Dropbox zu legen. Funktionen wie ColorDrop machen ein schnelles Einfärben Deiner Bilder möglich. Hier findest Du Procreate im App Store.
Wenn Du mal einen Blick in die Kreativ-Wirtschaft erhältst, kommst Du um den Namen „Adobe“ selten herum. Das fängt beim bekannten und beliebten Photoshop an und hört beim Schnittprogramm Premiere auf. Auch dazwischen gibt es alle erdenklichen Softwarelösungen. Für das Tablet gibt es mit Illustrator Adobes hauseigene mobile Grafiklösung. Fairerweise muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass für eine vollwertige Nutzung eine Mitgliedschaft in der Adobe Creative Cloud erforderlich ist. Ansonsten steht Dir nur ein Bruchteil der Funktionen zur Verfügung. Illustrator Draw ist kompatibel mit der Adobe Hardware Slide und Ink sowie dem Stylus Adonit Jot Touch. Um diese App zu nutzen, solltest Du definitiv etwas Erfahrung mitbringen oder als Einsteiger eine höhere Frustgrenze haben. Adobe Illustrator Pro gibt es im App Store. An dieser Stelle ein Tipp: Für Schüler, Lehrer, Dozenten und Studenten gibt es die Adobe Creative Cloud um einiges günstiger.
Ohne Apfel: Grafik-Apps für Android & Co.
Du hast Dich ganz bewusst gegen Apple entschieden? Auch in diesem Fall muss man nicht lange suchen. Exklusiv für Android-Geräte gibt es zum Beispiel ArtFlow bei Google Play. Auch hier gilt: Voller Funktionsumfang, voller Preis. Die Gratis-Version von ArtFlow ist dermaßen abgespeckt, dass sie allenfalls als besserer Skizzenblock taugt.
Ähnlich verhält es sich mit Infinite Painter. Hier ist schon im Store die Beschreibung sehr schön: “We are not Sketchbook. We are not Photoshop. We are not Procreate. We are Infinite Painter“.
An dieser Stelle schielen wir nochmal zur SketchBook-Anwendung. Denn diese gibt es Gott sei Dank auch für Deine Android-Devices: Autodesk SketchBook bei Google Play. Windows hingegen vertreibt nur die hauseigene FreshPaint-App im Windows Store. Diese App ist als Zeitvertreib wohl gut geeignet, aber für einen höheren Anspruch an Deine Zeichenkünste eher die letzte Wahl.
Aus dem Grafiknähkästchen geplaudert
Eine befreundete Industrie-Design-Studentin erzählte mir Folgendes zu diesem Thema:
Ich zeichne ausschließlich analog. Wenn ich eine Zeichnung digital benötige, scanne sie ein und bearbeite sie weiter mit einem vektorbasiertem Zeichenprogramm, zum Beispiel Adobe Illustrator. Da gibt es einen Bildnachzeichner, wenn man nur klare Linien braucht, die man dann weiterbearbeiten möchte, zum Beispiel für ein Logo.
Auch wenn es nach diesen Ausführungen den Anschein machen mag: Analog und digital schließen sich also nicht per se aus. In der modernen Berufswelt ist digitale Bildbearbeitung zum Standard geworden. Wenn Dir das Feeling einer Papierskizze eher zusagt – moderne Scanner liefern tolle Ergebnisse, und in Verbindung mit professioneller Software entstehen Ergebnisse, die sich sehen lassen können.
Das macht unter anderem dieses Beispiel deutlich: Berufszeichner wie De Vino übertragen das Karikaturen-Zeichnen in die Gegenwart. Denn De Vino zeichnet direkt auf dem Tablet, lässt bei Bedarf am großen Bildschirm das Publikum an diesem Prozess teilhaben und kann die Bilder auf Wunsch direkt digital übertragen.
Am Ende ist es Deine Entscheidung, wie viel Geld Du in Künstler-Hard- und Software stecken möchtest. Tablets bieten tolle Lösungen, Deine Kreativität digital auszuleben und nicht zuletzt auch direkt mit anderen zu teilen. Am Ende entscheidet lediglich Deine Leidenschaft für die Sache, was Du aus Deinen Ideen machst.
Es beginnt immer mit dem ersten Pinselstrich … egal ob analog oder digital.