Apps
Wenn das Smartphone dem menschlichen Gehör hilft
Schätzungen zufolge gibt es 300.000 Gehörlose in Deutschland und weitere 700.000 Hörgeschädigte. Diese finden auf dem Smartphone Anwendungen, die zu einem barrierefreien Alltag verhelfen. Ob bei Kinobesuchen, Live-Übersetzungen oder beim Erlernen der Gebärdensprache – die neusten Apps machen es möglich, dass Taube besser in die Welt der Akustik integriert werden.
Online-Dolmetscher übersetzen in Echtzeit
Der mobile Dolmetscher-Dienst VerbaVoice vermittelt flexibel Dolmetscher online oder vor Ort, die das Gesagte in schriftlichen Text bzw. in Gebärdensprache übersetzen. Auf der VerbaVoice-Plattform werden in einem virtuellen Raum Kunde und Dolmetscher zusammengebracht. Über die App kann der Hörbehinderte einen Dolmetscher buchen, der zum vereinbarten Datum live bei einem Gespräch oder Vortrag dabei ist – online, vor Ort und in Echtzeit - übersetzt. Zwar können Hörbehinderte häufig an den Lippen ablesen, aber bei schnellem Sprechen, beispielsweise in einer Vorlesung, erleichtert die App das Verständnis mithilfe von Live-Untertiteln oder Gebärdensprache-Videos der Dolmetscher. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte oder eine Mitschrift wird ebenfalls angeboten. Mit 50 bis 95 Euro für eine Stunde Fern-Dolmetschen ist diese Variante zwar sehr kostenintensiv, allerdings trägt der Staat die Kosten. Die Unternehmerin Nachtrab erklärt im Interview mit der Welt: „Für den Staat ist das deutlich billiger, als die bisher genutzten Präsenzdolmetscher mit ihren langen Anfahrtszeiten“. Mittlerweile übersetzen rund 120 Dolmetscher für mehr als 400 Kunden 1200 Stunden pro Monat in Schrift oder Gebärde.
Kinoerlebnis für Hörgeschädigte
Früher war ein Kinobesuch für Hörgeschädigte nur bei sehr wenigen, ausgewählten Filmen mit Untertiteln denkbar. Die App Greta und Starks ermöglicht ein Verhalten abseits vom sonst üblichen Verhaltenskodex, der besagt, dass das Smartphone auf lautlos zu schalten und nicht zu nutzen ist. Denn die App garantiert Kino-Spaß auch für gehörlose Zuschauer, die den Film erleben möchten. Dialoge und dramaturgisch relevante Umgebungsgeräusche im Bild oder Hintergrund werden in Untertitel übersetzt. Die Entwicklung der Gratis-App ist einer veränderten Regelung im Filmförderungsgesetz zu verdanken. Demnach müssen Filmemacher, die staatliche Gelder in Anspruch nehmen, mit dem Ziel der Barrierefreiheit vor dem Kinostart die entsprechenden Untertitel der Filme bereitstellen. Der hörbehinderte User Archetim hält das grundsätzlich für eine gute Idee, gibt aber zu bedenken: „Starks wäre für mich keine richtige Lösung. Man muss ja abwechselnd ständig aufs Handy und auf die Leinwand schauen, das gestaltet sich sicherlich etwas mühselig“. Für eine komfortablere Bedienung versprechen die Hersteller die Entwicklung einer Daten-Brille und leichte Halterungen für das Smartphone.
Apps, die Lippen lesen und Gebärdensprache lehren
Weitere Hilfsmittel für die Kommunikation von Hörgeschädigten sind Spracherkennungs-Apps. Das Prinzip ist ähnlich wie beim Lippenlesen: Die App kann nicht alles genau verstehen und die Trefferquote sinkt, wenn der Sprecher Dialekt spricht, nuschelt oder wenn die Internetverbindung nicht gut ist. Die Apps können die Kommunikation also lediglich unterstützten. Die Deutsche Gebärdensprache-App erleichtert das Erlernen der Gebärdensprache mit 81 zur Verfügung stehenden Videos mit Alltagsbegriffen in Gebärdensprache.
Auf dem Weg zur Barrierefreiheit
Die technischen Hilfsmittel der Smartphones machen die Welt für Taube weniger kompliziert. Die teure und aufwändige Variante, einen Dolmetscher zu engagieren, ist dank Spracherkennungs-Apps oder dem Online-Dolmetscher nicht die einzige Möglichkeit für Hilfsbedürftige, das Gesprochene zu verstehen. Auch die Initiative im Filmbereich verstärkt den Trend hin zur Barrierefreiheit. Wir sind gespannt auf die Umsetzung der Entwicklungsmöglichkeiten und hoffen, bald die ersten Starks-Brillenträger in den Kinos zu entdecken.
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